Prador-Mond: SF-Thriller (German Edition)
Kapitel 1
Feiern wir Hochzeit, genug der Lockzeit
Die Outlink-Station Avalon lag am Rande der Polis, dieses expandierenden politischen Gebildes, regiert von künstlichen Intelligenzen und - für die, die diese nichtmenschlichen Herrscher ablehnten - dem allerhöchsten Autokraten: Earth Central. In der gesamten Geschichte der Polis war man nur einer einzigen lebendigen außerirdischen Intelligenz begegnet: einem rätselhaften Wesen, das sich aus keinem direkt zu Tage tretenden Grund Drache nannte, wenngleich es weder zur Ordnung der Schlangen gehörte noch Feuer spie. Seit jeher brachte es seine Zeit damit zu, die Forscher mit seinen orakelhaften Verkündigungen zu verblüffen. Man fand Ruinen, man fand Artefakte, die mit Sicherheit Produkte sehr fortschrittlicher Technik waren, man fand Spuren erloschener, die Sterne umspannender Zivilisationen, aber keine weiteren intelligenten Lebewesen. Bis jetzt.
Avalon hatte sich früher mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, bremste jetzt aber ab, hier in den Grenzbereichen dessen, was Wissenschaftler nach Übersetzung und umfänglichem akademischem Disput das Zweite Königreich der Prador nannten. Soweit Jebel Krong wusste, hatte bislang weder Mensch noch KI eine dieser Kreaturen erblickt, wenngleich man seit langem mit ihnen redete. Man war ihren Schiffen begegnet, diese hatten sich jedoch sogleich aus dem Staub gemacht. Man hatte Sonden losgeschickt, um die Welten des Königreichs zu erkunden; viele wurden von den Prador zerstört - vielleicht ein Akt verständlicher Vorsicht ihrerseits -, aber die anderen schickten Daten von technisch hoch entwickelten Gesellschaften auf wasserreichen Planeten, manche auch Bilder von seltsamen organischen Behausungen und Städten - anscheinend an Land ebenso wie auf See - und großen Uferpferchen mit Herden von Geschöpfen, die an riesige Schlammspringer erinnerten. Allerdings wurden auch diese Sonden zerstört, ehe sie Bilder der Prador selbst senden konnten.
Forscher konnten jedoch aus den übermittelten Daten einige Fakten gewinnen. Die Prador waren an Land und im Meer gleichermaßen zu Hause. Die Bauweise ihrer Schiffe und einige Nuancen der Sprache gaben Hinweise darauf, dass sie womöglich Exoskelette besaßen und vielleicht Insekten ähnelten. Sie hatten keine hoch entwickelten KIs entwickelt, sodass es wahrscheinlich schien, dass sie ausgeprägte Individualisten und als Individuen hochgradig begabt waren. Außerdem legten sie ganz entschieden eine einigermaßen paranoide Haltung an den Tag. Sie kommunizierten durch Laute, und die wichtigeren Sinnesorgane waren mit denen der Menschen vergleichbar. Wahrscheinlich waren Gesicht und Gehör die wichtigsten Sinne, obwohl die Abtastung ihrer Schiffsrümpfe Hinweise lieferte, dass der Gesichtssinn ins Infrarote reichte und entsprechend am anderen Ende des Spektrums Einbußen hatte. Die Analyse ihrer Kommunikation zeigte, dass das Gehör in den Infraschallbereich überging. Allein schon ihre Sprachgepflogenheiten deuteten an, dass der Geruchssinn ebenfalls ausgeprägt war. Polis-KIs behaupteten mit einer Gewissheit von mehr als neunzig Prozent, dass die Prador Karnivoren waren, sodass eine Verballhornung des Wortes »Predator« zur Bezeichnung Prador führte.
Ungeachtet jedoch solch unheildrohender Aussagen über diese Kreaturen hatten sie es ohne Hilfe durch KIs geschafft, eine Raumfahrtzivilisation und einen funktionsfähigen Subraumantrieb zu entwickeln, und es schien, dass ihre metallverarbeitende Technik durch eine Laune der Entwicklung ein gutes Stück weiter war als die der Polis. Sie verfügten nicht über Runcibles, da diese schon vom Wesen her auf einer Technologie beruhten, die den linearen Denkvorgängen entwickelter Kreaturen völlig entgegenlief und somit KI benötigte. Deshalb erwartete der Botschafter der Menschheit, dass eine Grundlage für einen konstruktiven Dialog bestand. Der Botschafter erhoffte sich voller Eifer, diesen Dialog im Interesse des technischen, moralischen und sozialen Fortschritts sowohl der Menschen- als auch der Pradorkultur in die Wege zu leiten. Das war nun mal die Art von Äußerung, die von einem Botschafter zu erwarten stand. Jebel blieb äußerst argwöhnisch, aber als Kontrollbeauftragter der Earth Central Security gehörte das zu seinem Aufgabenbereich.
»Der Shuttle fährt gerade ins Dock«, sagte Urbanus.
Jebel trug einen silbernen Verstärker in Form eines Tränentropfens hinter dem linken Ohr, wo das Gerät fest mit
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