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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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zu beherrschen, stellten sie ihre Kräfte in den Dienst der Sterblichen. Niemand beugte sich mehr ihrem Willen – ja, die Menschen vergaßen sogar, dass es sie gab.« Die Comtesse zischte vor Abscheu. »Und auch die Engel hatten vergessen, wer sie einmal gewesen waren. Im Lauf der Jahrtausende erloschen ihre Erinnerungen an die Frühe Zeit. Zu solch erbärmlichen Kreaturen waren sie herabgesunken, dass sie begannen, die Menschen zu lieben. Nur einige erinnerten sich noch der alten Überlieferungen und wollten sich nicht länger damit abfinden, Sklaven der Menschen zu sein. Sie wagten, sich zu erheben, und es gelang ihnen, den Rat der Unsterblichen auf ihre Seite zu ziehen, dem nur die ältesten und mächtigsten Engel angehören. Nun wird es nicht mehr lange dauern, bis wir uns zu alter Macht erheben und die Menschen wieder vor uns erzittern. Sie werden ihren Herren huldigen, wie es ihnen gebührt. Und sie werden dir huldigen, mein Prinz, wenn du bereit bist, dein wahres Wesen anzunehmen.« Die Stimme der Comtesse war immer lauter geworden, während sie gesprochen hatte, und nun brach sie plötzlich ab.
    Es war ganz still im Raum. Ruben hörte das leichte Rascheln, als er den Kopf etwas drehte und sein Haar über das Kleid der Comtesse strich. Er spürte, wie heftig sie atmete, und als sie auf ihn hinabsah, leuchteten ihre Augen einen Wimpernschlag lang in grellem Weiß. Ruben erschrak, doch dann glaubte er, sich geirrt zu haben, denn ihre Pupillen waren dunkel wie zuvor. Er schluckte. Obwohl er ihre Worte verstanden hatte, begriff er nicht, wie all das mit ihm zusammenhing. »Was bedeutet das, Madame?«, wagte er zu fragen. »Warum sollte irgendjemand mir huldigen, einem Findelkind?«
    »Weil du ein Abkömmling der alten Engelsherrscher bist, die sich Seraphim nennen. Woher sonst hättest du deine Fähigkeiten?«
    Ruben setzte sich auf. Sein Herz raste vor Aufregung. »Ist das auch wirklich wahr?«, fragte er, starr vor Bemühen, nicht die Fassung zu verlieren.
    Die Comtesse stand auf, schlug die Augen nieder und verneigte sich leicht.
    »Willkommen zu Hause, mein Prinz. Euer Vater ist begierig darauf, Euch kennenzulernen.«
    »Seid Ihr meine Mutter?« Die Worte kamen als heiseres Flüstern heraus.
    »Nein, mein Prinz, das bin ich nicht. Nur eine Dienerin Eures Vaters, des Mächtigsten der Seraphim. Der Erzengel ist derjenige, der uns zurückführen wird zu altem Glanz – und er braucht Euch dabei an seiner Seite.«
    Das Gewicht, das Ruben sein ganzes Leben lang mit sich herumgeschleppt hatte, fiel von ihm ab. Er hatte einen Vater, der auf ihn wartete! Und er war ein Prinz, wie er es heimlich immer erträumt hatte, mehr noch: ein Unsterblicher, Abkömmling von Engeln! »Wenn ich das Henri erzähle!«
    »Kein Mensch darf wissen, dass es uns gibt«, sagte die Comtesse, und in ihrer Stimme lag eine Kälte, die Ruben frösteln ließ. »Keiner von denen, die dieses Geheimnis kannten, ist noch am Leben.«
    Ruben starrte sie an. Drohte sie, seinen einzigen Freund zu töten?
    »Henri würde mich niemals verraten«, sagte er schnell. »Er ist der beste Gefährte, den man sich nur denken kann.«
    »Ein Mensch kann niemals Gefährte eines Seraph sein.« Die Stimme der Comtesse klang hasserfüllt. »Sein Sklave, sein Diener, sein Untertan, aber niemals sein Freund.«
    »Ich muss mich erst daran gewöhnen.« Ruben sah auf seine Knie. Er behielt für sich, was er dachte: Henri würde immer sein Freund sein.
    »Ihr habt sicher viele Fragen«, sagte die Comtesse. »Ich werde Euch alles ehrlich beantworten.«
    »Danke … Ich meine … Ich bin Euch sehr dankbar, Madame. Wo ist mein Vater? Wann kann ich ihn sehen?«
    »Er wartet auf Euch im Westen, am Meer. Noch halten mich an dere Angelegenheiten in Paris auf, aber wir werden bald abreisen.«
    »Und meine Mutter? Ist sie auch dort?« Ruben sah die Comtesse voller Hoffnung an. Wie sehr hatte er sich immer eine Mutter gewünscht!
    »Nein, mein Prinz. Sie hat sich von Eurem Vater abgewandt. Und von Euch. Sie hat Euch weggegeben, als Ihr nur wenige Tage alt wart, und Euer Vater hat Euch fünfzehn Jahre lang vergeblich gesucht.«
    Ruben wurde eiskalt, und eine harte Faust aus Wut und Enttäuschung umklammerte sein Inneres. Immer wenn es ihm schlecht gegangen war, hatte er sich vorgestellt, dass seine Mutter irgendwo auf ihn wartete und an ihn dachte. Und jetzt musste er erfahren, dass sie ihn ohne zu zögern im Stich gelassen hatte. Er würde nicht einmal mehr fragen, wie sie hieß und

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