Puppengrab
Er ist auf freiem Fuß, und er wird mir so nahe kommen, wie es das Gesetz erlaubt. Dazu hat er jedes Recht …
Es überraschte sie, wie kurz sie davor war, die Worte auszusprechen.
»Bitte«, wisperte sie.
»Bitte was?«, fragte der Lieutenant und beugte sich nahe zu ihr heran. »Sie können das alles sofort beenden, Ihre Tochter abholen und mit ihr nach Hause fahren. Sie müssen mir nur den Namen des Anrufers sagen und können in aller Ruhe hier rausspazieren.«
So einfach. Als sei es damit getan, den Namen des Teufels auszusprechen.
Sie konnte es nicht tun, sie musste an Abby denken. Wenn sie jetzt schwieg, würde Abby die Folgen für ein paar Stunden, vielleicht für den restlichen Nachmittag erdulden müssen. Doch wenn sie Chevy Bankes’ Namen aussprach, hätte ihre Tochter für den Rest ihres Lebens keine Ruhe mehr. Was das anbetraf, hatte Adam immerhin recht behalten.
Sprich niemals darüber, Beth. Niemand wird es verstehen.
Und hatte ihre Anwältin sie nicht erst heute Morgen darin bestärkt?
Schweigen Sie, Ms. Denison. Das Beste, was Sie für Ihre Tochter tun können, ist, keiner Menschenseele davon zu erzählen. Beten Sie, dass Sie Bankes davon überzeugen können, Sie in Ruhe zu lassen.
Beth klammerte sich an die Tischkante und sah Sacowicz durch einen Tränenschleier an. »Bitte, Lieutenant.« Sie hasste es, doch sie konnte nichts dagegen tun, dass ihr die Tränen die Wangen hinabliefen. »Sie sind selbst Vater. Bitte. Abby soll keine Angst haben. Was auch immer passiert, bitte sorgen Sie dafür, dass meine Tochter keine Angst hat.«
Sacowicz räusperte sich. »Ich kümmere mich darum, Ms. Denison.«
Er ging bereits zur Tür, als Beth sagte: »Warten Sie.« Ihre Stimme war kaum hörbar. Sie hustete leise, um wieder sprechen zu können. »Ich will meine Anwältin sehen.«
[home]
8
D ie Anwältin kam wie ein Tornado hereingewirbelt, fand Neil. Ihr Name war Adele Lochner. Sie war groß, schlank, trug einen strengen Haarknoten, hatte hohe Wangenknochen und eine zu große Nase.
»Na, belästigen Sie wieder einmal aufrichtige Bürger, Lieutenant?«, fragte sie und betrachtete Denison durch die einseitig verspiegelte Scheibe des Vernehmungszimmers. Dann wandte sie sich an Neil. »Wer sind Sie?«
»Neil Sher…«
»Das ist Ex-Special-Agent Neil Sheridan vom FBI «, sagte Rick.
»Ex«, sagte sie. »Und was ist er jetzt?«
»Ich habe ihn gebeten, mich zu beraten. Er verfügt über Kenntnisse aus einem ähnlichen Fall, der mit diesem vermutlich zusammenhängt. Können wir uns jetzt über die eigentliche Sache unterhalten?«
»Gern. Behinderung der Justiz? Was für eine Anklage ist das, bitte?«
»Damit wollen wir Ihre Mandantin dazu bringen, uns den Namen eines Mannes zu nennen, der sie angerufen hat«, entgegnete Rick. »Ein Mann, von dem wir annehmen, dass er vor neun Jahren einen Mord begangen hat – und jüngst vielleicht wieder.«
Adele Lochner erstarrte. Das hatte sie wohl nicht erwartet, dachte Neil. »Erzählen Sie mir mehr«, bat sie.
Neil berichtete ihr zunächst von Gloria Michaels. Dann fuhr Rick mit der Toten aus Seattle und der Vermissten aus Denver fort und erläuterte, dass ihre Handys dazu benutzt worden waren, Denison anzurufen.
»Hat meine Klientin zugegeben, diese Telefonate geführt zu haben?«, wollte Lochner wissen.
»Sie behauptet, es seien obszöne Anrufe gewesen.«
Sie verdrehte die Augen. »Ihr Jungs seid doch wirklich unglaub…«
»Moment, da sind noch ein paar Details«, warf Rick ein. »Vor rund zwei Stunden hat Denison einen weiteren Anruf erhalten. Von einem Handy, das einer dritten Frau aus Omaha gehört, die heute Morgen von ihrer Familie als vermisst gemeldet wurde. Und diesmal haben wir die Nachricht auf der Mailbox.«
»Verdammt«, sagte Lochner und schnaufte durch die spitze Nase. »Haben Sie Ms. Denison gesagt, dass der Mann ein Mörder ist?«
»Noch nicht«, antwortete Rick.
»Und weshalb nicht? Sie haben wohl Angst vor einem weiteren Verfahren, Lieutenant?« Lochner sah die beiden abwechselnd an und begann, selbstgefällig zu grinsen. »Sie sind sich gar nicht sicher, ob dieser Anrufer überhaupt jemanden getötet hat, stimmt’s?« Rick öffnete den Mund, doch sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Das Handy der Frau aus Seattle ist nie gefunden worden. Also könnte es von irgendjemandem benutzt worden sein. Und was ist mit der Frau aus Denver? Sie sind sich ja nicht einmal sicher, dass sie wirklich einem Verbrechen zum Opfer
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