Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
des Schreibens nur den Blick heben musste, um die Aussicht zu genießen.
Sarah liebte das Turmzimmer ebenso wie sie, und oft fanden Mutter und Tochter hier oben zusammen. Während sie ihre Bücher auf den neuesten Stand brachte, entwarf Sarah ein neues Muster oder sortierte ihre Schätze. Ob sie wohl eines Tages in ihre Fußstapfen treten und die Färberei übernehmen würde? Die Rezepturen kannte sie natürlich längst, ebenso sämtliche Arbeitsschritte bei der Vorbereitung der Schnecken und die Verfahren und Kniffe bei der Behandlung der unterschiedlichen Materialien. Erlernt hatte sie das Handwerk also, doch es schien ihr keine Freude zu bereiten. Ihre Hingabe galt allein ihren Perlen, mit einer solchen Spielerei aber konnte sie wohl kaum ihre Zukunft gestalten, und das sollte sie, mochte sie auch eine Frau sein.
Wie jedes Mal, wenn sie an Sarah dachte, wurde ihr auch jetzt das Herz weit. Leider hatten Miguel und sie nur dieses eine Kind bekommen, aber was für ein Glück, es zu haben!
Miguel liebte seine Tochter abgöttisch, er war jetzt sogar noch mehr in sie vernarrt als früher, als sie auf seinen Schoß geklettert war und an seinem Bart gezupft hatte. Er hatte sie damals verwöhnt und tat das noch heute, oft genug in einem Maße, dass sie ihn zur Ordnung rufen musste. Inzwischen war aus dem kleinen Wildfang natürlich längst eine junge Frau geworden, doch immer noch erschmeichelte sie sich von ihrem Vater kleine Freiheiten und sonstige Zugeständnisse, mit denen es ihr gelang, die mütterlichen Anweisungen zu umgehen.
Manchmal, dachte Mirijam, erriet sie Sarahs Gedanken ganz genau und wusste, was sie dachte, was sie liebte oder verabscheute. In solchen Zeiten fühlte sie sich ihrem Kind sehr nahe, beinahe, als wären sie ein und dieselbe Person. Ein andermal wieder musste sie erkennen, wie fremd sie ihr war und wie widersprüchlich als Persönlichkeit. Liebenswürdig, voller Energie, dabei großzügig und impulsiv, zugleich jedoch unbeständig und launenhaft, sogar ungerecht. Ja, auch das war Sarah. Bei der geringsten Kleinigkeit konnte sie aufbrausen, besonders, wenn sie sich eingeschränkt fühlte. Trotz ihrer zwanzig Jahre kam ihr Sarah immer noch unfertig vor wie ein Kind, dabei anspruchsvoll wie eine Prinzessin und zugleich arglos wie ein Lämmchen!
Diesem Bündel an Widersprüchen stand eine ungewöhnliche Passion gegenüber. Wenn Sarah sich über ihre Schachteln und Säckchen beugte, sich in ein neues Muster vertiefte oder an einer ihrer Perlenstickereien arbeitete, vergaß sie für Stunden alles um sich herum. Oft handelte sie unüberlegt und fahrig, bei dieser Tätigkeit aber ging sie peinlich genau vor und akzeptierte nichts anderes als ein perfektes Ergebnis. Mirijam seufzte.
Ihr Blick ging über die Bucht und verweilte auf der Silhouette von Mogador. Wie kleine Würfel schmiegten sich die kalkweißen Häuser an den sanften Hügel, umschlossen von mit Zinnen bewehrten Mauern, die so gar nicht kriegerisch, sondern eher wie eine sanfte Umarmung der Stadt wirkten.
Kurz vor ihrer Vertreibung aus Mogador, also anno 1528, im Jahr von Sarahs Geburt, hatten die Portugiesen neue Verteidigungsanlagen erbaut, dennoch hatten die Berberkrieger aus der Wüste gesiegt. Inzwischen waren nicht nur Mogador und Santa Cruz, sondern auch die anderen Atlantikhäfen frei von der Bevormundung durch die Ungläubigen, wie Sultan Muhammad es nannte.
Zum Glück hatte man damals nicht alle Fremden des Landes verwiesen, wie religiöse Eiferer lautstark gefordert hatten, die beiden Sultane waren eben vernünftige Männer. Etliche portugiesische Händler blieben im Land, wie auch viele Bauern. Auf großen Feldern im Tal des Oued Sous bauten sie Baumwolle und Indigo an, wieder andere wollten ihre Olivenbäume und Zuckerrohrpflanzungen nicht verlassen. Auch Miguel und sie waren geblieben und lebten ungestört unter dem Schutz von Sultan Muhammad as-Sheïk-al-Hassani, dem König aus der Wüste.
Schon bald nach dem Ende der Kämpfe waren sie zur gewohnten Unaufgeregtheit zurückgekehrt, als wäre niemals etwas gewesen. Sie arbeiteten und betätigten sich als Wohltäter, zahlten ihre jährlichen Abgaben an den Hof in Taroudant, der neuen Hauptstadt des Südens, und verhielten sich wie alle ruhig. Doch wer wusste schon, was unter der Oberfläche brodelte oder welche Absichten sich hinter den verschleierten Gesichtern der stolzen Sa’adier verbargen? Sie jedenfalls nicht. Und wie sie gerade jetzt wieder feststellte, wusste
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