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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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drehte sich auf den Rücken. Die grünliche Narbe, die den Horizont zerteilte, hatte aufgehört zu pulsieren. Sie zitterte nicht einmal mehr. Die Nebel entlang der Wunde waren verblasst. Wind fuhr durch die letzten Schleier und trug sie davon. Dort, wo der Riss sich verästelt hatte, sammelten sich Wolken. Santino kniff die Augen zusammen, doch es blieb real. Das Gewebe heilte bereits wieder.
    Sarrakhans Gnade, es hatte funktioniert.
    Er brauchte nicht mehr die Gestade des Nebelsees abzusuchen oder sich unter den Augen von Maebhs Wachen nach Tír na Avalâín zu schleichen. Das Leuchtfeuer hatte genau hier gebrannt, in Tír na Mórí, entfacht von einem überehrgeizigen Narren, der aus blinder Liebe bereit gewesen war, seine Heimat zu zerstören.
    Oder hatte Rhonda ihn glauben lassen, dass die Explosion nur Tír na Mórí in Schutt und Asche legen und Tír na Avalâín verschonen würde, wenn er die Flüster-Akeleien in der Metropole der Nebel-Fayeí ansäte?
    Einerlei.
    Die Gefahr war gebannt.
    Vorerst. Solange nicht ein anderer kam und ein neues Leuchtfeuer errichtete, das die Verschlingerinnen der Kjer zurückzog wie Motten zum Licht.
    Santino blieb liegen und genoss den Wind, der ihm warm über die geschundenen Glieder strich. Aus halb geschlossenen Lidern beobachtete er das Schauspiel der Wolken, wie sie goldfarben und rosa erglühten, in einem märchenhaften Sonnenuntergang.

Epilog
Detroit. Einige Tage später.
    Ken ließ sein Fahrrad mit Schwung durch eine Pfütze rollen, dass das Wasser rechts und links hochspritzte und ihm die Säume seiner Jeans durchweichte. Sonne reflektierte sich im nassen Asphalt der Dalzelle Street und blendete ihn. Der Himmel glänzte wie blau emailliert. An den Bäumen schoben sich zarte grüne Spitzen aus den Knospen. Der Frühling brach sich endlich Bahn.
    Etwas über drei Stunden hatte der AP -Test in Geschichte gedauert. Er hatte ein gutes Gefühl bei der Sache. Die Frage-Antwort-Bögen waren leicht gewesen, bis auf die Fragen über das mittelalterliche Japan und das Neolithikum, da hatte er geraten. Und bei den Essays konnte er nur auf das Beste hoffen. Aber er glaubte schon, dass er etwas Ordentliches zu Papier gebracht hatte.
    Die Luft roch sauber und nach frischem Gras. Spatzen veranstalteten einen Höllenlärm in den Baumkronen. Er lehnte sein Fahrrad gegen die Hauswand und trat in den Korridor, der vor lauter Kisten fast unpassierbar geworden war.
    »Hey, Mom!«, rief er. »Mom, wo steckst du?«
    Sie stieg die Treppe herunter, die Arme voller Stoffballen. »Mein Gott, so viel Krempel. Ich weiß gar nicht, wie das alles ins neue Haus passen soll.«
    Er nahm ihr die Sachen aus den Händen und legte sie auf einen Pappkarton.
    »Wie war der Test?«, fragte sie.
    »Gut. Wie sieht’s aus, schaffen wir das bis heute Abend?«
    »Wir müssen ja.« Claire stemmte die Fäuste in die Hüften. »Morgen früh kommt der Laster. Was bis dahin nicht verpackt ist, bleibt hier.«
    Sie sah zehn Jahre jünger aus.
    Seit ihrer Wiedervereinigung mit Coinneach war kaum eine Woche vergangen, doch mit jedem Tag hatte sie sich ein Stück weiter aufgerichtet, hatte sie mehr von ihrer Energie und ihrer Tatkraft zurückgewonnen. Gewiss lag es auch daran, dass der Säufer noch immer in Haft saß. Die Betreuerin, die sie ihr von der Polizei geschickt hatten, hatte Mom sofort in ihr Herz geschlossen und wünschte ihrem prügelnden Gatten die Pest an den Hals. Sie hatte sich mit Flanders kurzgeschlossen und dafür gesorgt, dass sie Randall O’Neill gleich noch einen Verdacht auf Komplizenschaft mit seinem ältesten Sohn anhängten, der nach wie vor wegen Mordverdachts im Gefängnis saß.
    Er nahm den Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. »Mom, ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch.« Sie fasste ihn bei den Handgelenken und zog ihn in eine Umarmung. Sogar ihr Duft hatte sich verändert. Das muffige Lavendelparfüm war verschwunden. Ihr Haar roch nach Apfel-Shampoo und Friseur, und um ihren Hals hing eine kleine Silberkette, die er noch nie an ihr gesehen hatte. »Ich habe dir immer gesagt, dass du etwas Besonderes bist. Und dass nun alles so gekommen ist –« Sie verstummte. Dann, nach einem Moment: »Die Leute reden über mich, nicht wahr? Dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin.«
    »Die Leute sind mir egal, Mom.«
    »Du musst mir erzählen, was passiert ist.« Sie runzelte die Stirn. »Auf der anderen Seite.«
    »Warum kommst du nicht einfach mit? Coinneach sagt, wir sind in Níval willkommen.

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