Quo Vadis
verlassen, obschon sie auf ihn hoffte und ihn mit der ganzen Kraft ihrer reinen Seele liebte. Und sie lag dort in den finsteren Verliesen, schwach, hilflos, verlassen, den Launen, der Bosheit brutaler Wächter überantwortet, in den letzten Zügen vielleicht, während er, Marcus, machtlos hier saß, ungewiß, welche Marter ihr zugedacht sei oder was im nächsten Augenblick sich ereignen würde. Wie ein Mann, der in einen Abgrund fällt, nach jedem Halme greift, der am Rande steht, so hielt er sich mit letzter Kraft an dem Gedanken fest, daß der Glaube sie zu retten vermöge. Das war der einzige Weg! Petrus hatte ja gelehrt, daß der Glaube die Welt aus den Angeln heben könne.
Seine Zweifel bekämpfend, faßte er sein ganzes Sein in die zwei Worte „Ich glaube“ zusammen und wartete auf ein Wunder.
Doch wie ein überspannter Bogen brechen kann, so brach ihn der Schmerz. Todesblässe überzog sein Antlitz, sein Körper wurde kraftlos. Er glaubte, sein Gebet sei erhört, er dürfe sterben. Auch Lygia werde nun sterben und Christus sie beide zu sich nehmen. Die Arena, die weißen Togen, die zahlreichen Zuschauer, das Licht einer Menge von Lampen und Fackeln – alles verschwand vor seinen Augen. Allein die Schwäche dauerte nur kurze Zeit. Nach einer Weile erwachte er oder wurde vielmehr durch das Stampfen der ungeduldigen Menge geweckt.
„Du bist krank“, sagte Petronius; „laß dich heimtragen.“
Ohne Rücksicht auf den Cäsar erhob sich Petronius, um Vinicius hinauszuführen, sein Herz war voll Mitleid und zudem erbittert gegen Nero, der Vinicius durch den Smaragd hindurch betrachtete und sich vergnüglich an dessen Qualen weidete, um daraus vielleicht Stoff für pathetische Strophen zu gewinnen und damit den Beifall der Hörer zu ernten.
Vinicius aber schüttelte verneinend den Kopf. Er konnte zwar im Zirkus sterben, aber er mochte nicht hinausgehen. Zudem mußte das Schauspiel jeden Augenblick beginnen.
In der Tat, beinahe in diesem Moment winkte der Präfekt mit einem roten Tuch, die Angeln gegenüber dem Podium des Cäsars knarrten, und aus dem finsteren Loch trat Ursus in die lichte Arena hinaus.
Der Hüne blinzelte, offenbar geblendet vom Glitzern des Arenasandes. Er schritt langsam auf die Mitte zu und begann, mit den Augen zu suchen, was ihm bevorstehe. Alle Augustianer und die meisten Zuschauer wußten, daß er der Mann war, der Kroton erwürgt hatte. Ein Murmeln lief bei seinem Erscheinen die Reihen entlang. Es war zwar in Rom kein Mangel an außerordentlich starken Gladiatoren, doch niemals hatten Römeraugen einen Riesen gleich Ursus in der Arena erblickt. Cassius, der Leibwächter Neros, schien ein Zwerg, verglichen mit diesem Lygier. Senatoren, Vestalinnen, Nero, Augustianer staunten entzückt seine mächtigen, Baumstämmen ähnlichen Glieder an, seine Brust, so breit wie zwei aneinandergefügte Schilde, seine Herculesarme. Das Murmeln wurde lauter und lauter, denn für diese Menschen gab es keine größere Lust, als solche Muskeln im Kampfe sich betätigen zu sehen. „Wo lebt das Volk, das einen solchen Riesen hervorbrachte?“ fragte man allgemein. Nackt stand er in der Mitte der Arena, eher einem Steinkoloß als einem Menschen gleichend, mit dem Ausdruck der Gefaßtheit und zugleich der den Barbaren eigentümlichen Trauer in den Zügen. Seine blauen Kinderaugen schauten verwundert bald auf die Zuschauer, bald auf Nero, bald auf das Gitter des Cuniculum, woher er seine Henker erwartete.
Als er den ersten Schritt in die Arena tat, lebte noch einmal in seinem Herzen die Hoffnung auf, ein Kreuz möchte ihn erwarten; doch als er weder ein Kreuz noch ein Loch dafür im Sande sah, glaubte er sich dieser Gunst unwürdig und rechnete damit, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Er war unbewaffnet und nahm sich vor, so zu sterben, wie es einem Bekenner des „Lammes“ zukomme, friedlich, geduldig. Zuvor wollte er noch einmal beten; darum kniete er in den Sand nieder, faltete die Hände und hob die Augen den Sternen zu, die durch eine Öffnung im Velarium auf die Arena herabblickten.
Dies mißfiel den Zuschauern. Sie hatten genug jener Christen gesehen, die sich wie Schafe schlachten ließen, sie erkannten, daß das Schaustück so um allen Sinn käme, falls dieser Riese sich nicht wehren würde. Da und dort wurde gezischt. Manche riefen nach den Mastigophoren, deren Amt es war, die Verurteilten mit Geißelhieben zum Kampfe zu zwingen. Doch der Lärm legte sich bald, denn niemand wußte, was
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