Mission Munroe 03 - Die Geisel
Kapitel 1
Dallas, Texas
Miles Bradford stand am Fenster seines Büros, die Handflächen an die Scheibe gelegt, und beobachtete den Parkplatz. Er sah, wie sie aus dem Gleichgewicht kam. Der Sturz wirkte irgendwie seltsam, wie in Zeitlupe. Sie knickte ein und sackte zu Boden. Er zögerte und war sich für einen langen Moment unsicher, ob er lachen oder sich Sorgen machen sollte. Er hielt den Atem an, flehte sie lautlos an aufzustehen. Sie wusste, dass er da war. Gleich, gleich würde sie sich umdrehen und ihm zuwinken, und später würden sie gemeinsam darüber lachen.
Aber sie rührte sich nicht. Machte keine Anstalten, sich unter dem Motorrad, das ihr Bein eingeklemmt hatte, hervorzuwinden. Hob nicht einmal den Kopf.
Bradford sah es, ohne es zu verstehen. Er wich vom Fenster zurück. Jede Bewegung war mühsam, als würde er durch Wasser waten. Dann drehte er sich um und jagte zur Tür hinaus, den Flur entlang und an der Rezeption vorbei. Ließ den Fahrstuhl links liegen, nahm die Treppe, rannte die fünf Stockwerke hinunter, stürmte durch die Treppenhaustür ins Foyer und dann durch die große Glastür ins Freie, nur um festzustellen, dass ein Krankenwagen die nördliche Einfahrt des Parkplatzes blockierte, während Munroe auf einer Trage ins Innere geschoben wurde.
Bradford schrie und winkte mit beiden Armen, um die Sanitäter auf sich aufmerksam zu machen. Er wollte, dass sie auf ihn warteten. Er wollte, dass sie ihn mitnahmen und er bei ihr sein konnte. Aber sie drehten sich nicht einmal um, würdigten ihn keines Blickes. Die Trage glitt in den Laderaum, die Türen klappten zu, und Bradford rannte los, mit allem, was Lunge und Muskeln hergaben, und kam doch wenige Sekunden zu spät.
Der Notarztwagen schoss mit heulender Sirene zur Ausfahrt hinaus.
Die Ducati lag auf der Seite, ein kleines Stück neben der Stelle, wo sie umgekippt und auf Munroe gefallen war. Der Motor war aus, und der Zündschlüssel steckte. Er wuchtete die schwere Maschine in die Senkrechte. Schwang sich in den Sattel, drückte den Fußschalter in den Leerlauf und betätigte mit dem Daumen den Starterknopf. Dann wollte er die Kupplung ziehen und musste feststellen, dass der Hebel durch den Aufprall auf den Bürgersteig abgebrochen war.
Fluchend starrte er dem Krankenwagen hinterher, resigniert und regungslos. Er rang um Atem, dachte nach, während die Sirene leiser und leiser wurde und der Verkehr langsam wieder in Gang kam. Wenn er sich sofort ein Auto geschnappt hätte, anstatt erst dem Krankenwagen hinterherzulaufen, hätte er unter Umständen eine Chance gehabt, ihr zu folgen, aber dafür war es jetzt zu spät. Bradford warf einen Blick zurück zu dem Gebäude. Die spärliche Schar der Schaulustigen löste sich bereits wieder auf.
Seit zwei Jahrzehnten führte seine Arbeit ihn in die Kampfgebiete dieser Welt, und oft genug mitten zwischen die Fronten. Argwöhnische Wachsamkeit war sein ständiger Begleiter und jeder Schatten ein potenzieller Feind. Aber auf seinem eigenen Terrain benahm er sich immer noch allzu oft wie ein ahnungsloser Zivilist. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus dem Erdgeschoss gesehen hatte, was passiert war, und sofort den Notruf gewählt hatte? Und dass dann auch noch ein Krankenwagen in unmittelbarer Nähe gewesen war? Das war nicht völlig ausgeschlossen, mehr aber auch nicht.
Bradford stieg ab und schob die Ducati in die Garage, in die versteckte Nische, in der auch Munroe sie normalerweise abgestellt hatte. Dann lief er zurück zum Foyer, während ihr Sturz wie ein Film wieder und wieder vor seinem geistigen Auge ablief. Er sah, wie sie zusammenzuckte und nach unten blickte, sah, wie sie kurz verharrte und sich mit der linken Hand an den Oberschenkel fasste, sah sie innehalten, bevor sie erschlaffte und zu Boden sank. Das war kein plötzlicher Zusammenbruch gewesen, kein Kollaps, nicht die Bewegung eines Menschen, der einfach ohnmächtig wurde.
Vor dem Fahrstuhl rammte er den Zeigefinger auf die Aufwärts-Taste und ging in Gedanken die möglichen Alternativen durch: Allergien, gesundheitliche Beschwerden, verschleppte Krankheiten. Ohne Ergebnis.
Als Bradford wieder auf seiner Etage war, hatte er die Szene bestimmt schon ein Dutzend Mal durchgespielt. Und mit jeder Wiederholung war seine Stimmung ein bisschen schlechter geworden. Er trat durch die breite Tür, die vom Flur in die Büros von Capstone Security Consulting führte, und durchquerte den vornehmen Empfangsbereich mit den
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