Quo Vadis
ein Verschmachtender von frischem Wasser. Neben Ursus stehend, erschien sie kleiner als sonst und fast wie ein Kind. Er bemerkte auch, daß sie noch schlanker geworden war. Ihre Blässe machte sie beinahe durchscheinend, so daß sie Vinicius wie eine Blume, wie ein Geist vorkam. Doch das erregte sein Verlangen noch mehr, dieses Mädchen zu besitzen, das von allen Frauen, die er in Rom und im Orient gesehen oder besessen hatte, so unendlich verschieden war. Für sie würde er sie alle samt Rom und der ganzen Welt hingegeben haben.
Er hatte sich ganz in ihren Anblick verloren, als Chilon, in Furcht, er möchte etwas tun, was sie alle drei in Gefahr brächte, ihn am Mantel zupfte. Die Christen sangen und beteten. Darauf begann der große Apostel jene mit dem Brunnenwasser zu taufen, die von den Presbytern als vorbereitet bezeichnet wurden. Es war Vinicius, als ob die Nacht nimmer enden wollte. Er brannte vor Begierde, Lygia zu folgen und sie auf dem Wege oder in ihrer Wohnung zu ergreifen.
Endlich verließen einige das Ostrianum, und Chilon flüsterte:
„Laß uns vor das Tor hinaustreten, Herr. Wir haben unsere Häupter nicht entblößt, die Leute schauen auf uns.“
So war es. Während der Rede des Apostels hatten alle die Kappen abgezogen, um besser zu hören. Vinicius und seine Begleiter allein waren dem Beispiele nicht gefolgt. Chilons Rat war gut. Vor dem Tore stehend, konnten sie alle Vorübergehenden mustern, und Ursus war infolge seiner Größe leicht herauszufinden.
„Laß uns ihnen folgen“, sagte Chilon; „wir müssen sehen, welches Haus sie betreten. Morgen oder vielmehr heute umzingelst du den Eingang mit deinen Sklaven und hebst sie aus.“
„Nein!“ sagte Vinicius. „Wir folgen ihr bis zu ihrer Wohnung und entführen sie sofort, wenn du, Kroton, die Aufgabe übernehmen willst.“
„Ich will“, erwiderte Kroton; „du darfst mich als Sklaven behalten, wenn ich diesem Bison, der sie bewacht, nicht das Genick breche.“
Doch Chilon beschwor sie bei allen Göttern, dies ja nicht zu tun. Kroton sei nur zur Verteidigung gegen einen etwaigen Angriff mitgenommen worden, nicht aber um das Mädchen zu entführen. Mit nur vier Armen sie rauben zu wollen, das heiße, dem sicheren Tode entgegenlaufen. Zudem könnte sie vielleicht ihren Händen entrinnen und dann Rom verlassen oder doch ein anderes Versteck beziehen. Warum nicht mit Sicherheit handeln? Warum sich dem Tode, warum das ganze Unternehmen dem Mißlingen aussetzen?
Obschon Vinicius nur mühsam zurückzuhalten war, Lygia nicht sofort mitten im Ostrianum an sich zu reißen, sah er ein, daß der Grieche recht hatte, und würde ihm vielleicht nachgegeben haben, wäre nicht Kroton gewesen, dem der Lohn die Hauptsache war.
„Herr, befiehl diesem alten Ziegenbock zu schweigen“, sagte er, „oder laß mich ihm die Faust auf den Schädel schlagen.
Einst in Buxentum, wohin Lucius Saturnius mich zu einem Spiel mitnahm, überfielen mich sieben betrunkene Gladiatoren in einer Schenke, und keiner kam mit heilen Rippen davon. Ich will das Mädchen nicht hier aus der Menge reißen, da man uns steinigen könnte. Sobald sie jedoch zu Hause ist, will ich sie packen und wegtragen, wohin du willst.“
Vinicius war damit zufrieden und antwortete: „Bei Hercules, so sei’s! Morgen würden wir sie vielleicht nicht daheim finden. Wenn wir uns verraten, so wird das Mädchen sicherlich in ein anderes Versteck gebracht.“
„Dieser Lygier muß fürchterlich stark sein“, seufzte Chilon.
„Niemand befiehlt dir, ihn festzuhalten“, versetzte Kroton.
Doch sie hatten noch eine ganze Weile zu warten, und der Morgen dämmerte schon, bevor sie Ursus mit Lygia durch das Tor treten sahen. Sie kamen in Begleitung einer Schar anderer Christen, unter denen Chilon den großen Apostel zu erkennen glaubte. An dessen Seite gingen ein anderer alter Mann von bedeutend kleinerer Statur, zwei nicht mehr junge Frauen und ein Knabe, der mit einer Laterne voranleuchtete. Auf diese Schar folgte ein ganzer Haufen, wohl zweihundert an der Zahl. Diesen schlossen Vinicius und Chilon sich an.
„Ja, Herr“, sagte Chilon, „das Mädchen steht unter mächtigem Schutz. Dort neben ihr steht der große Apostel; sieh doch, wie die Vorübergehenden niederknien.“
In der Tat knieten die Leute vor ihm nieder, doch Vinicius achtete nicht darauf. Keinen Augenblick verlor er Lygia aus den Augen. Er dachte an nichts als an die Entführung; gewohnt, im Kriege jeder möglichen List sich zu
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