Radau im Reihenhaus
schlecht wird, und wenn man eine Raststätte anfährt, ist sie hoffnungslos überfüllt, und man kriegt nichts zu essen. Schließlich fragte Rolf den Kellner: »Was haben wir eigentlich verbrochen? Seit einer Stunde sitzen wir hier bei Wasser und Brot.«
Trotz unseres langen Aufenthalts im Restaurant war die Autobahn nicht leerer geworden. Alles kroch nach Süden, beladen bis zum Dach und noch darüber hinaus. Seit die Fußgänger langsam rarer werden, haben manche Autofahrer Boote gekauft und machen nun wohl Jagd auf Schwimmer.
Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit erreichten wir unser Ziel, eine kleine Pension etwas außerhalb eines bekannten Ferienortes. Der Mond schien, die Wiesen waren nicht grün, sondern silbrig, und ruhig war es auch. Mißtrauisch schnupperte Rolf in die ungewohnt klare Luft. »Hier kann man ja nicht mal
sehen,
was man atmet!«
Im Morgengrauen weckten uns Kühe – genauer gesagt, ihre Glocken. An sich pflegen auch Kühe ziemlich geräuschlos zu speisen, aber im Gegensatz zu anderen Wiederkäuern tragen sie speziell in Urlaubsgebieten mehr oder weniger laute Bimmeln um den Hals, vermutlich deshalb, weil die Feriengäste diesen Anblick von ihren Milchdosen her gewohnt sind. Da sieht es ja auch sehr hübsch aus. Leider gehören Kühe zu den Frühaufstehern. Wir wurden auch welche!
Nun ist ein Morgen im Gebirge etwas Wunderschönes. Man braucht nur bei Luis Trenker nachzulesen oder bei Ganghofer. Es muß sehr beeindruckend sein, wenn sich der feurige Sonnenball hinter den majestätischen Berggipfeln erhebt… Wir haben es leider niemals gesehen. Es regnete nämlich. Es regnete morgens, es regnete mittags; abends nieselte es manchmal nur noch, aber nachts regnete es wieder. Wir steckten die Köpfe aus den Fenstern, atmeten die gesunde feuchte Luft und verschoben den Spaziergang auf später. Wir plünderten das örtliche Spielwarengeschäft und wurden Dauerkunden in der Leihbibliothek. Leider war sie mit Kinderbüchern nur sehr mangelhaft ausgestattet. Einmal brachte ich Sven die »Reise um die Erde in achtzig Tagen« mit. Mein Sohn las den Titel und legte das Buch gelangweilt zur Seite. »Dieser Jules Verne muß zu Fuß gegangen sein.«
Nach einer Woche Dauerregen beschloß Rolf, das Angenehme (?) mit dem Nützlichen zu verbinden und einen Kunden zu besuchen, der ganz in der Nähe wohnen sollte. Inzwischen hatten wir Anschluß gefunden an ein etwa gleichaltriges Ehepaar, das sogar drei Kinder hatte und auch nicht wußte, wie es sie beschäftigen sollte. Als er nun auf fünf Köpfe angewachsen war, stellte der Nachwuchs fest, daß Regen herrlich und ein Bauernhof interessant ist. Von da ab sahen wir sie nur noch zu den Mahlzeiten.
Rolf fuhr also zu dem bewußten Kunden und nahm seinen neuen Bekannten mit. Wir Frauen blieben getreu unserer vorgeschriebenen Rolle zurück und hüteten die Kinder. Ab und zu sahen wir mal aus dem Fenster, aber den Anblick kannten wir nun schon. Es regnete.
»Die Einheimischen sagen, der Regen sei dringend nötig«, sagte Frau Dombrowski.
»Na schön, er ist gut für die Bauern. Zahlen die aber auch jeden Tag sechzig Mark?« Mißmutig rührte ich in meiner Kaffeetasse. »Wer sagt eigentlich, daß man niemals alles zugleich haben kann? Wir haben doch jetzt Nachsaisonwetter zu Hochsaisonpreisen!«
Die Wirtin rief mich ans Telefon. Am anderen Ende der Strippe war aber nicht Rolf, sondern Frau Heinze. Vor der Abreise hatte ich ihr unsere Ferienadresse gegeben, damit sie uns in Katastrophenfällen benachrichtigen könnte.
»Nun kriegen Sie keinen Schreck! Ihr Haus steht noch, und der Wasserrohrbruch bei Babydoll hat bloß Ihre ganzen Buschrosen ersäuft. Aber deshalb rufe ich ja gar nicht an. Ich wollte Ihnen nur erzählen, daß sich Patricia vor zwei Stunden verlobt hat!«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich matt, »und was die Rosen betrifft…«
»Ein paar sind ja noch übriggeblieben. Aber was sagen Sie nun zu meiner Tochter? Hinter meinem Rücken haben die das eingefädelt! Hier zu Hause haben sie getan, als kennen sie sich kaum, und dabei haben sie sich immer heimlich in Düsseldorf getroffen. Patricia hat mir alles erzählt. Ich bin schon ganz runter mit den Nerven. Geheiratet wird im Oktober. Nach Venedig wollen sie aber nicht. Tassilo ist ein Wintersportfanatiker, der möchte in die Schweiz fahren. Jetzt muß Patricia auch noch Skilaufen lernen. Schätzchen bringt heute abend Skier mit, dann kann sie schon mal ein bißchen im Garten
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