Rächer des Herzens (German Edition)
genauso wieder zu leben.
„Würdest du gern heute Morgen mit mir ausreiten?“ Seine Worte überraschten ihn fast genauso, wie sie offenbar Isabella überraschten. Marcus war gar nicht sicher, was ihn zu dieser Frage veranlasst hatte. Es war wohl ein verzweifelter Drang, alles zurechtzurücken, ehe irgendetwas anderes zwischen ihnen fehlschlug.
Isabella sah auf, und in ihr Gesicht kam wieder etwas Farbe. Sie freute sich, stellte er fest und fühlte sich prompt schäbig. Er wusste, dass er Isabella für seine eigene Eifersucht bestrafte, und versuchte mit aller Macht, einen Ausweg zu finden.
Also zwang er sich zu einem Lächeln. „Wir könnten den Weg zu den Kinvara-Klippen hinaufreiten. Du hast die Aussicht von dort oben immer so gern gehabt.“
Trotz seiner Anstrengungen kamen seine Worte gestelzt heraus, was Isabella nicht entging. Der glückliche Ausdruck in ihrem Blick wurde etwas blasser, als sie zustimmend nickte.
„Ja, das würde ich gern tun. Wir können uns in zwanzig Minuten bei den Ställen treffen.“
Marcus leerte seine Kaffeetasse und stellte bittere Betrachtungen darüber an, wie glatt und oberflächlich das Leben ohne ein wirkliches Gespräch zwischen Isabella und ihm verlaufen könnte. Zweifellos würde er das in Zukunft noch oft erleben können.
Unten in den Ställen konnten sie die Atmosphäre der Anspannung zwischen ihnen wenigstens dadurch überdecken, dass sie sich intensiv mit den Pferden beschäftigten. Dann ritten sie aus dem Hof hinaus, den Pfad hinauf zu den Dünen und weiter bis oben auf die Klippen. Wieder herrschte Schweigen zwischen ihnen, während die Pferde vorsichtig ihren Weg über das elastisch federnde Gras suchten. Marcus wusste, dass Isabella darauf wartete, ob er auf das Gespräch der vergangenen Nacht zurückkam oder andeutete, dass man es nicht mehr berühren würde. Er war verärgert, doch was konnte er sagen? Ich ärgere mich über die Tatsache, dass du Ernest Di Cassilis geheiratet hast, und noch mehr darüber, dass du mit Heinrich von Trier geschlafen hast, und ich bin geradezu wütend über dein Flirten mit all den anderen Männern, die deinen Namen so in den Schmutz ziehen. Marcus presste die Lippen zusammen. So sollte es aber nicht sein.
Isabellas Gesicht unter dem Hut war ernst, und sie wich Marcus’ Blick aus. Die Anspannung zwischen ihnen wurde stärker, und er hatte das Gefühl, dass sie sich im nächsten Augenblick in Enttäuschung und Zorn entladen musste.
„Ich will mit dir um die Wette reiten“, sagte er. „Bis zur Kapelle?“
Isabella sah ihn an, und ihre Augen leuchteten plötzlich auf. Sie bemerkte die zornige Herausforderung in seinem Blick und verstand genau, was er jetzt dachte. Ohne eine Antwort zu geben, presste sie die Sporen in Asters Flanken und ließ dem Tier freien Lauf. Damit ließ sie Marcus zurück, der ihre Gestalt wie im Flug davongaloppieren sah.
Er wendete Achilles und folgte Isabella. Dabei drängte er die ganze Wut, die Bitterkeit und das Misstrauen aus seinem Körper heraus, während sie beide über die Heide- und Grasflächen schier atemlos dahindonnerten. Lange Zeit gab es nur das dumpfe Hufgetrappel der Pferde auf dem Gras, die frische Brise in seinem Gesicht, eine seltsame Hochstimmung in seinem Inneren und den Vorsprung Isabellas, der sein Blut in Wallung geraten ließ.
Sie war jetzt nur noch einige Yards vor ihm, und die Steinmauer, die die Kapelle umgab und das Ziel des Wettrennens darstellte, kam schnell näher. Isabella zügelte Aster so stark, dass das Pferd sich fast aufbäumte. Die Hufe knirschten über den Boden, und Ross und Reiterin kamen wenige Fuß vor den Mauern des Kirchhofs zum völligen Stillstand. Kurz darauf kam Marcus neben ihr an.
„Du hast gewonnen“, sagte er. „Ich dachte, ich würde dich noch einholen.“ Er hielt inne.
Isabella sah ihn nicht an. Es schien fast, als hätte sie ihn gar nicht einmal gehört. Sie starrte über die Kirchhofsmauer, wo eine schweigende Prozession von Leuten auf die Tür der kleinen Kapelle zuschritt und einen winzigen hölzernen Sarg trug. Isabella stieß einen unterdrückten Schrei aus und bedeckte ihren Mund mit den Händen. Unvermittelt griff sie in Asters Zügel, wendete das Pferd und war bald zwischen den Bäumen am Rande des Bergrückens verschwunden, ehe Marcus sich überhaupt rühren konnte.
Er starrte auf die Kirchentür, die sich hinter dem Leichenzug schloss. Es war ein Kinderbegräbnis.
Von Kindern wusste Marcus nichts. Er hatte mit India eine
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