Rasputins Erbe
Nacht an ihrer Präsentation gefeilt, da sie wusste, wie wichtig der Auftrag der Gromow-Familie für die FemediaX GmbH war.
„Peer wird mir den Kopf abreißen“, dachte sie ängstlich, wütend und beschämt zugleich. Sie ging zum Bürogebäude und betrat, nachdem sie dem Wachmann einen Morgengruß zugenickt hatte, leicht zitternd den Aufzug. Der Spiegel im Aufzug zeigte eine junge Frau, die auf dem Weg nach oben war. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Aufzug flog förmlich dem 15. Stockwerk entgegen. „Hoffentlich hat Deniz ein Backup auf seinem Computer, dann haben wir wenigstens ein paar Anhaltspunkte für die Präsentation“, dachte sie, während sie die kalte Digitalanzeige des Aufzugs beäugte.
Neunter Stock, zehnter Stock, elfter Stock. Sie hatte noch ein paar Sekunden, um sich zu beruhigen und um sich mental auf das vor ihr liegende Desaster vorzubereiten. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Das hatte sie in ihrem Yogakurs gelernt. Die Atemübung half, die Bilder in ihrem Kopf machten den Effekt jedoch zunichte. Da war er wieder, dieser Mann aus ihrem Traum. Und da war auch wieder dieses Gefühl, das sie so liebte. Fünfzehnter Stock. Die Aufzugtüren öffneten sich ruckartig und sie riss die Augen auf, um sich ihrem Schicksal zu stellen.
Zur Not kann ich wieder nach Berlin zurück, dachte sie nervös lächelnd. Sarah, die Neue am Empfang, deutete mit einem Blick bereits an, dass an jenem Tag vermutlich die Welt untergehen würde. Julia betete, dass die Russen wenigstens ebenfalls verschlafen hatten.
Kapitel 2 – Die Invasion
Nein, die Russen hatten nicht verschlafen. Sarah fügte fast flüsternd hinzu, dass Peer offenbar extrem geladen sei: „Ich drück' dir die Daumen. Vorhin dachte ich, dass wir alle gefeuert sind.“ „Danke, Sarah“, meinte die Junior-Chefin kurz angebunden und sie dachte grimmig, dass sie das Kind schon schaukeln würde. Wie? Das war eine andere Frage, die sie in den wenigen Sekunden, die sie benötigte, um zum Konferenzraum zu eilen, leider nicht beantworten konnte.
„Mensch, Julia, ich musste hier fast eine halbe Stunde den Clown spielen. Du kannst froh sein, dass unsere Gäste den Kölner Altstadthumor noch nicht satt sind!“, rief Peer ihr freundschaftlich zu, als sie nach einer letzten Blitz-Atemübung endlich das Zimmer betrat.
Auf sie warteten fünf mehr oder weniger entspannte Gesichter. Da war Deniz, ihr Kollege, Designer und vielleicht auch Freund; da war sich Julia noch nicht sicher. Peer saß wie üblich am kurzen Ende des Konferenztisches und schaute erwartungsvoll in die Runde – Julia wusste, dass sein freundschaftlicher Zuspruch nicht bedeutete, dass ihr der Fehler verziehen war. Im Gegenteil. Peer verstand es, seine Untergebenen zu verunsichern und das machte er manchmal gerne.
Neben Deniz, der beinahe gelangweilt auf seinen Laptop schaute, saß eine hübsche, junge Frau, die Julia mit zusammengezogenen Augenbrauen fixierte und ihr nicht einmal den Anflug eines Lächelns gönnte. Daneben saß eine Zarin, wie Julia fand. Aristokratische Wangen, ein selbstzufriedener Blick und blasse Adeligenhaut machten das Bild perfekt. Sie hielt in der linken Hand eine Zigarettenspitze, in der ein fast aufgerauchter Glimmstängel steckte. Sie sah von allen am nettesten aus.
Auf dem Stuhl daneben lag eine offensichtlich sehr teure Handtasche und daneben, auf dem abgelegensten Platz saß eine hünenhafte Gestalt. Julia fiel das Herz in die Hose, als ihr Blick über sein Gesicht glitt. Sie hatte die Gesichter innerhalb weniger Augenblicke gescannt und ihre Augen verharrten jetzt auf dem gutaussehenden Mann, dessen Aura ihr zitternde Knie verpasste.
„Julia, hast du ein Gespenst gesehen? Der Mann, den du gerade anglotzt, heißt Alexej Gromow, neben der Handtasche sitzt Katarina Gromow und daneben Annabelle Desens.“ - Peer war stets gut darin gewesen, geladene und schwierige Situationen mit einer gehörigen Portion Humor aufzulockern. Er konnte gut mit Menschen umgehen und an diesem Tag war Julia ihm sehr dankbar, dass er offenbar einen Teil seines Ärgers bereits verdaut hatte.
Alexej Gromow richtete sich plötzlich auf, um Julia über den schmalen Tisch hinweg die Hand zu schütteln. „Es, äh, ist mir eine Ehre, Ale-, ehm, Herr Gromow“, stammelte Julia, als sie seine Hand spürte. Sie traute sich kaum, ihm in die Augen zu schauen, denn sie hatte bereits im Bruchteil einer Sekunde erkannt, dass der Mann, der gerade vor ihr stand, der Mann aus ihrem Traum
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