Die Burg
Eins
«Fertig», zwitscherte Katharina und sprang von der Bank. «Ich geh hoch, ja, kann ich? Ich muss die Ponybilder einkleben, die Opa mir geschenkt hat.»
«Du hast dein Ei nicht gegessen», erwiderte Astrid. «Und ich habe dich zweimal gefragt, ob du wirklich eins möchtest.»
«Aber wenn ich doch satt bin!», kam es trotzig zurück.
Helmut Toppe nahm die Zeitung herunter. «Flitz los, Maus. Das Ei kannst du später noch essen.»
Katharina schaute ihre Mutter an, dann grinste sie und stürmte aus der Küche.
«Mit deinen Söhnen warst du strenger», stellte Astrid trocken fest.
Toppe lächelte schief. «Ja, leider.» Dann schüttelte er den Kopf. «Ponybilder – sag mal, wie lange hat dieser Pferdefimmel eigentlich bei dir angehalten?»
«So bis siebzehn, achtzehn.»
«Himmel!» Toppe schluckte. «Da haben wir ja noch einiges vor uns.»
Astrid schmunzelte. «Nicht unbedingt, die meisten Mädchen verlieren nach vier, fünf Jahren die Lust daran. Bei mir ist das erst viel später losgegangen. Als ich anfing, mich für Jungs zu interessieren, fanden meine Eltern, dass Pferde eine gute Ablenkung wären, und haben mich zum Reiten gebracht.»
«Und wie alt warst du da?»
«Zwölf.»
«Donnerwetter, ganz schön frühreif!»
«Nicht wahr?» Sie grinste. «Mich haben meine Eltern allerdings nicht so verwöhnt, wie sie es jetzt mit Katharina tun. Ich habe nicht sofort ein eigenes Pony bekommen. Bei ihrem Enkelkind sind sie großzügiger.»
«Na, Gott sei Dank, sonst wärst du wahrscheinlich eine ganz schöne Zicke geworden.»
Er griff zur Kaffeekanne. «Möchtest du auch noch einen?»
«Danke, ja.» Sie räkelte sich ausgiebig. «Ich kann’s kaum glauben, dass wir tatsächlich einmal gleichzeitig dienstfrei haben, und das auch noch über Ostern.»
Toppe beugte sich über den Tisch und küsste sie. «Du weißt, dass ich heute Nachmittag zu Meinhards offizieller Verabschiedung muss?»
«Ja, sicher. Glaubst du, dass sie kommt?»
Charlotte Meinhard, die Leiterin der Klever Kommissariate, war vor einem Dreivierteljahr an Brustkrebs erkrankt und hatte umgehend einen Antrag auf Frühpensionierung gestellt. Keiner hatte sie seither gesehen, und man munkelte, dass sie längst nicht mehr in Kleve wohnte, sondern zu ihrem Sohn nach Kanada gezogen war.
«Kann ich mir nicht vorstellen», antwortete Toppe. Als Charlotte Meinhard nicht wieder in den Dienst zurückgekehrt war, hatte man ihm kommissarisch den Posten übertragen, eine Aufgabe, die er nur widerstrebend erfüllte. Die Verwaltungsarbeit, die damit verbunden war, machte ihm wenig Freude, er fühlte sich in seinem neuen, piekfeinen Büro im Verwaltungstrakt immer noch nicht wohl, und er vermisste sein Team.
Astrid lächelte. «Jetzt grummel nicht. Wir sind alle froh, dass du der neue Chef bist. Etwas Besseres hätte uns doch gar nicht passieren können. Außerdem schreibt dir doch kein Mensch vor, wie du deinen neuen Job zu machen hast. Es steht nirgendwo geschrieben, dass du ständig in Schlips und Kragen rumlaufen musst, und wenn du weiter vor Ort ermitteln willst, kann dich niemand davon abhalten.» Sie stand auf, um den Tisch abzuräumen. «Ich bin heute Nachmittag auch unterwegs, mit Katharinas Klasse. Wir schauen uns dieses historische Camp an.»
«Ach ja», sagte er und blätterte in der Zeitung, «darüber habe ich doch eben was gelesen. Hier, eine Stadtmiliz aus Worcester, nicht?»
«Kleves Partnerstadt, genau. Unser Bürgermeister hat alle Schulen angeschrieben, man solle sich das Lager unbedingt anschauen. Sie würden dort ziemlich originalgetreu das 17. Jahrhundert nachstellen.»
«Englischer Bürgerkrieg», murmelte Toppe und blätterte die Zeitung um. «Die Truppe scheint sich nicht nur Freunde zu machen, hier sind allein drei Leserbriefe. So wie es aussieht, ballern die in ihrem Camp mit Schwarzpulver herum. Eine Frau Thinnes schreibt, dass ihr bei jedem Schuss fast das Herz stehenbleibt. ‹Mein Mann und ich haben im Krieg genug durchgemacht.› Und Rudolf Coenders regt sich über die Lärmbelästigung auf. ‹Wir wohnen gute vierhundert Meter weg, und trotzdem klingeln uns die Ohren. Und darüber hinaus: Hat man denn alles vergessen? Wer sind wir denn, dass wir die Engländer bei uns Krieg spielen lassen? Wer hat das genehmigt? Man müsste den mal aufklären und ihm die Leviten lesen!›»
Astrid lachte. «Sehr gelungen.»
Toppe faltete die Zeitung zusammen, stapelte Aufschnitt, Käse und Butter und brachte sie zum Kühlschrank.
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