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Readwulf

Readwulf

Titel: Readwulf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Mart
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Gerüchte über den Tod von Gracy kursierten. Die einen tuschelten Herzfehler, die anderen vermuteten Mord oder Totschlag.
    Für mich passte die Herzfehlertheorie gar nicht, dafür sah ihre Haltung viel zu unnatürlich aus. Wer fiel schon genau hinter einem Müllcontainer um, sortierte vorher noch schön-schaurig seine Schuhe um sich herum und blieb dann im Anschluss mit diesem erschrockenen Gesicht und den nach oben verdrehten Armen liegen? Sie hätte sich doch wenigstens an die Brust gefasst oder sich den linken Arm festgehalten. Nein, natürliche Todesursache hatte ich nach dem grausamen Anblick sofort ausgeschlossen.
    Es war Mord!
    Ob der mysteriöse Kerl etwas damit zu tun hatte? Ich wollte die Fantasie nicht gleich mit mir durchgehen lassen, deshalb konzentrierte ich mich lieber wieder auf meinen Kaffee, den ich in der Cafeteria trank.

    Einige Tage vergingen, ohne dass etwas Aufregendes passierte, bis mich Prof. Stonehaven nach einer Vorlesung spontan zu sich nach Hause einlud: »Miss Pickering, ich würde mich sehr freuen, wenn sie uns heute Abend die Ehre geben würden. Meine Frau kocht und wäre entzückt, sie endlich persönlich kennen lernen zu dürfen.« Etwas eigen war mein Mentor schon, was er mit dieser Ansprache mal wieder deutlich unterstrich.
    »Ja, sehr gern.«
    »Ich habe eine kleine Überraschung für Sie.«
    Mit dieser Information konnte er wohl nur die Bewertung meiner Semesterarbeit meinen. Ich lächelte zurück und nahm den kleinen Zettel mit seiner Adresse an mich.
    »Ich erwarte Sie pünktlich um acht Uhr. Und seien sie bitte sehr hungrig, meiner Frau zuliebe.« Er wirkte amüsiert, als fiele ihm in diesem Zusammenhang eine entsprechende Situation wieder ein.

    Es muss die Zusage sein. Wäre es sonst eine Überraschung? Aber er hat ja nicht gesagt, dass es eine positive Überraschung ist. Ist eine Überraschung nicht meistens positiv? Vielleicht hat er mich nur eingeladen, um mir die Absage schonend beizubringen? Hör auf damit!
    Ich war nervös und die Gedanken gingen mir durch, als ich den Weg zu den Stonehavens zu Fuß zurücklegte. Bisher erschien es unnötig, meinen Mentor daheim aufzusuchen, schließlich hatte er sein eigenes Büro auf dem Campus. Umso erstaunter war ich über diese Einladung. Hinzu kam, dass er nur ein paar Straßen von mir entfernt wohnte. Punkt acht Uhr stand ich vor der alten Villa, welche Professor Stonehaven sein Heim nannte.
    Das dunkelrote Haus mit dem schön angelegten Vorgarten stammte aus der Gründerzeit und befand sich bereits seit Generationen in Familienbesitz. Das unscheinbare und düstere Bauwerk, konkurrierte mit dem kunterbunten Garten. Ich klingelte an der Eingangstür, die von zwei weißen Säulen und einem kleinen Vordach umrahmt wurde.
    Die Tür wurde gleich darauf geöffnet und eine elegante Dame in Abendrobe reichte mir die Hand. Wie automatisch griff ich danach und knickste bei der Begrüßung sogar. »Guten Abend, Mrs. Stonehaven, und vielen Dank für die Einladung.«
    Dann schaute ich an mir herunter und dachte: Jeans, weißes T-Shirt. Gott sei Dank: der dunkelblaue Blazer.
    »Nein. Nein, Kindchen, Sie sehen toll aus. Kommen Sie bitte, es freut mich Sie endlich kennen lernen zu dürfen. Barcley macht immer so ein Geheimnis um sie«, erklärte sie, als könnte sie Gedanken lesen, und lud mich mit einer eleganten Handbewegung nochmals ein, hereinzukommen.
    Das Haus war altenglisch und sehr aristokratisch eingerichtet. Man kam sich fast vor, wie in einem alten Kitschroman mit Salon und Kaminzimmer.
    Passt zu ihm!
    Die Situation amüsierte mich, daher konnte ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Ich betrat das hell erleuchtete Esszimmer im Erdgeschoss des Hauses. In der Mitte des Raumes stand ein massiver Holztisch oder besser: eine Speisetafel aus altem Familienbesitz. Der Tisch bot genug Platz für eine zwölfköpfige Familie. Ich fragte mich, ob die Stonehavens überhaupt Kinder hatten.
    Mrs. Stonehaven hatte mehr als zwanzig Kerzen angezündet. Die Atmosphäre des Raumes passte hervorragend zu ihrem Kleid und der hochgestochenen Ausdrucksweise in diesem Haus.
    Mein Professor erwartete mich bereits mit einer Porzellanpfeife im Mundwinkel. Auch er hatte sich extra schick gemacht. Er trug ein dunkelgrünes Herrenjaquette mit Lederbesatz an den Ellenbogen, dazu ein weißes Hemd und die obligatorische braune Fliege.
    »Guten Abend, meine Liebe, es gibt Roastbeef mit Yorkshire-Pudding, eine Spezialität meiner Frau. Sie backt ihn traditionell

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