Regulator: Roman
sahen jetzt auch hin -nicht die Feuerwehrleute und Polizisten, die bald aus ihrer Unentschlossenheit erwachen und sich zu der Party gesellen würden, sondern die Leute aus der Poplar Street, die den Angriff der Regulatoren überlebt hatten. Steve nahm Cynthia an ihren dünnen Armen und zog sie behutsam weg von Johnny. »Hören Sie auf«, sagte er. »Es kann uns nicht weh tun. Es ist nur eine Wolke, und sie kann uns nicht weh tun. Sie löst sich schon auf. Sehen Sie?« Das stimmte. An manchen Stellen riß die Flanke des Himmelspferds auf, an anderen schmolz sie zusammen und ließ lange, dunstige Sonnenstrahlen durch. Es war wieder nur ein Sommernachmittag, der Dachfirst des Sommers, alles dreht sich nur um Wassermelonen und Fruchtsaft und Fehlschläge mit der Spitze des Schlägers. Steve schaute die Straße hinab und sah ein Polizeiauto, das sich ganz langsam bergauf in Bewegung setzte, in ihre Richtung, und dabei über das Gewirr der Feuerwehrschläuche fuhr. Er sah Johnny an. »Jou.« »Was jou?«
»Hat er Selbstmord begangen, der Junge?« »Ich weiß nicht, wie man es sonst nennen sollte«, sagte Johnny, glaubte aber zu wissen, warum der Hippie fragte; irgendwie war es einem nicht wie Selbstmord vorgekommen. Der Streifenwagen hielt an. Der Mann, der ausstieg, trug eine Khakiuniform mit schätzungsweise einer Tonne Goldlitzen. Seine leuchtendblauen Augen verschwanden fast in dem komplexen Netz von Runzeln. Seine Waffe, eine ziemlich große Waffe, hielt er in der Hand. Er hatte Ähnlichkeit mit jemandem, den Johnny schon mal gesehen hatte, und nach einem Moment fiel es ihm ein: Ben Johnson, der heiligenähnliche Rancher (für gewöhnlich mit wunderschönen Töchtern) und satanische Banditen mit demselben Charme und derselben Glaubwürdigkeit gespielt hatte.
»Könnte mir jemand sagen, was im Namen Jesu des barmherzigen Erlösers sich hier abgespielt hat?« fragte er. Niemand antwortete, bis Johnny Marinville nach einem Moment feststellte, daß alle ihn ansahen. Er machte einen Schritt nach vorne, las das kleine Namensschild an der Brusttasche des gestärkten blauen Uniformhemds des Mannes, und sagte: »Gesetzlose, Captain Richardson.« »Pardon?«
»Gesetzlose. Regulatoren. Deserteure aus der Wüste.« »Mein Freund, wenn Sie das irgendwie komisch finden -« »Tu ich nicht, Sir. Wirklich nicht. Und es wird noch viel weniger komisch, wenn Sie da reinschauen.« Johnny zeigte auf Audrey Wylers Haus und mußte plötzlich an seine Gitarre denken. Es war, als würde man an ein Glas Eistee denken, wenn man verschwitzt und durstig und müde ist. Er dachte, wie schön es wäre, auf seiner Veranda zu sitzen, zu klampfen und »The Ballad of Jesse James« in D-Dur zu singen. Der Text ging so: »Oh Jesse had a wife to mournfor his life, three children they were brave.« Er vermutete, daß seine alte Gibson durchlöchert sein würde, sein Haus sah ziemlich in Trümmer geschossen aus (es sah aus, als würde es nicht mehr richtig auf den Fundamenten stehen), aber andererseits konnte sie auch vollkommen unversehrt sein. Einige von ihnen hatten es doch schließlich auch ganz gut überstanden.
Johnny ging auf sein Haus zu und hörte im Geiste schon, wie der Song unter seiner Hand und aus seinem Mund Gestalt annehmen würde: »Oh Robert Ford, Robert Ford, Iwon-der how you must feel? For you slept in Jesse's bed, and you ate of Jesse's bread, and you have laid Jesse James down in his grave.«
»Hey!« rief der Cop, der wie Ben Johnson aussah, streitlustig. »Wo, zur Hölle, glauben Sie, daß Sie hingehen?« »Um ein Lied über die Guten und die Bösen anzustimmen«, sagte Johnny. Er senkte den Kopf, spürte die dunstige Hitze der Sommersonne im Nacken, und ging weiter.
Brief von Mrs. Patricia Allen an Katherine Anne Goodlow aus Montpelier, Vermont
19. Juni 1986 Liebe Kathi,
dies ist das wunderschönste Fleckchen auf der ganzen Welt, davon bin ich überzeugt. Die Flitterwochen waren die bezauberndsten neun Tage meines ganzen Lebens, und die Nächte! Ich wurde in dem Glauben erzogen, daß man über gewisse Dinge einfach nicht spricht, daher will ich Dir nur sagen, daß meine Befürchtungen, zu spät herauszufinden, daß der schlimmste Fehler meines Lebens war, »es für die Ehe aufzusparen«, sich als unbegründet erwiesen hat. Ich komme mir vor wie. ein Kind, das in einer Fabrik für Zuckerstangen lebt! Aber genug davon; ich schreibe Dir nicht, um Dir vom Liebesleben der frischgebackenen Mrs. Allen zu erzählen
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