Erntemord
PROLOG
Es begann damit, dass Mary und Brad Johnstone die Messe für Übernatürliches besuchten und zufällig auf das Zelt eines Wahrsagers stießen. Keiner von beiden glaubte an diese Dinge. Dennoch sagte Brad mit einem trockenen Grinsen: „Wenn wir schon mal hier sind … Und das hier sieht wie der Ort aus, von dem der Mann im Museum gesprochen hat.“
Natürlich boten überall in Salem, Massachusetts, Wahrsager und Hellseher ihre Dienste an – vor allem jetzt, zu Halloween. Mary und Brad hatten schon diverse Spukhäuser besichtigt, Kostümläden besucht und verschiedene Einheimische kennengelernt, von Anhängern des Wicca-Kults bis zu Historikern. In einem Museum, das sich der örtlichen Geschichte verschrieben hatte, waren sie mit einem Mann ins Gespräch gekommen, der ihnen empfohlen hatte, einige Sitzungen bei verschiedenen Wahrsagern zu besuchen. Sie wären alle unterschiedlich, sagte er und gab ihnen eine Übersicht seiner Lieblingsadressen.
Wenig später hatte Mary ihre erste Sitzung in einem Laden namens Magick Mercantile gehabt. Er wurde von einem Paar überzeugter Wiccaner betrieben, Adam und Eve Llewellyn. Sie sah aus wie ein Hippie, und er trug ausschließlich Schwarz. Allerdings kaute er ständig Kaugummi, was ihn ein bisschen normaler wirken ließ. Brad bezweifelte, dass sie wirklich Adam und Eve hießen. Jeder hier schien einen Hang zur Theatralik zu haben, was durchaus sympathisch war. Eve hatte aus Marys Hand gelesen und ihr versichert, dass sie es mit ihren Tanzkünsten weit bringen würde. Als sie später darüber sprachen, waren beide sicher, dass sie Marys Beruf mit keinem Wort erwähnt hatten. „Vielleicht haben sie dich in dieser lokalen TV-Show gesehen, in der du aufgetreten bist“, nahm Brad an. Jedenfalls war es ein angenehmer Blick in die Zukunft gewesen.
Aber dieser Typ jetzt … Er war total unheimlich. Passend zu Halloween. Er trug ein Cape und einen Turban. Er war groß, dunkelhaarig und schlank und hatte seine stechenden Augen mit Kajal und Lidschatten betont.
In seinem Zelt befand sich ein kleiner Tisch, dessen schwarzer Überwurf nur durch ein Muster aus Monden und Sternen aufgehellt wurde. In der Mitte stand eine Kristallkugel. Alles war so sorgfältig arrangiert, dass sein Zelt wie eine feste Einrichtung und nicht wie ein Stand auf einer Messe wirkte. Überall standen Skulpturen: ägyptische Götter und Göttinnen, Drachen, Dämonen und Ähnliches.
Mary fragte sofort: „Sind Sie Wiccaner? Ein Hexer oder ein Zauberer?“
Der Wahrsager lächelte dünn. „Es gibt keine Zauberer in der Wicca-Religion. Wiccaner sind einfach Wiccaner. Und nein, ich bin kein Wiccaner. Nur ein einfacher Deuter von Zeichen, ein Deuter des Mondes und der Sterne und allem, was davor war.“
„Ich bin Mary Johnstone, und dies ist mein Ehemann Brad“, sagte Mary. Sie stolperte fast über das Wort Ehemann . Es erinnerte sie daran, vor wie kurzer Zeit sie noch auf eine Scheidung zugesteuert waren.
„Und ich heiße Damien“, stellte sich der Wahrsager vor. „Können wir zusammenbleiben?“, fragte Mary. „Eine Art Doppelsitzung?“
Tatsächlich war ihr ein wenig unheimlich zumute, doch sie ermahnte sich, nicht albern zu sein. Es war Halloween. Die Dinge sollten einem ein wenig Angst machen. Wie bei einem Horrorfilm. Wie gut war ein Horrorfilm, wenn man sich dabei nicht gruselte?
Sie fühlte sich dennoch merkwürdig unbehaglich. Aber alles wäre okay, wenn Brad bei ihr bliebe.
„Selbstverständlich“, sagte Damien lächelnd. „Was ich sehen werde … ist das, was ich sehe. Nehmen Sie Platz. Dort sind zwei Stühle.“
Sie setzten sich an den Tisch. Brad drückte ermutigend Marys Hand. Sie sagte sich selbst, dass sie im Urlaub waren, weit weg von den Florida-Stränden ihres Zuhauses, und dass sie etwas völlig Neues taten. Sie versuchten, alte Wunden zu heilen und von vorne anzufangen. Sie würden Spaß haben.
„Und nun sehen Sie in die Kugel“, sagte Damien mit überschwänglicher Geste.
Mary tat es und entschied, dass der Mann offenbar ein Meister der Effekte war. In der klaren Kristallkugel vor ihr begann, Nebel aufzusteigen. Als sie weiter hineinstarrte, glaubte sie ein Feuer zu sehen. Ein Feuer, das in Richtung eines unsichtbaren Himmels loderte. Dann verblasste das Feuer, und sie blickte auf eine trostlose Hügellandschaft mit ein paar vereinzelten dürren Bäumen mit knorrigen Ästen. Menschen waren da. Sie konnte sie nicht richtig verstehen, doch sie schienen zu singen.
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