Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Titel: Reise nach dem Mittelpunkt der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Combinationen; er lebte fern von der Erde, und wahrhaftig außerhalb der irdischen Bedürfnisse.
    Gegen Mittag stachelte mich der Hunger ernstlich. Martha hatte in aller Unschuld Tags zuvor alle Vorräthe der Speisekammer aufgezehrt; es war gar nichts mehr im Hause vorhanden. Doch hielt ich standhaft aus; es war mir eine Art Ehrensache geworden.
    Es schlug zwei Uhr. Es wurde lächerlich, unerträglich sogar. Ich machte über die Maßen große Augen. Ich fing an, zu der Ansicht zu kommen, daß ich die Wichtigkeit des Documents übertrieb; daß mein Oheim nicht daran glauben, eine bloße Mystification darin finden würde; daß im schlimmsten Falle, wenn er das Abenteuer versuchen wollte, man ihn wider Willen zurückhalten könne; daß er endlich doch selbst den Schlüssel der Chiffre finden könnte, und dann hätte ich umsonst gefastet.
    Diese Gründe, die ich am Tag zuvor mit Unwillen verworfen hätte, schienen mir jetzt vortrefflich; es kam mir so ganz lächerlich vor, daß ich so lange gewartet hatte, und ich entschloß mich, Alles zu sagen.
    Ich suchte daher, als der Professor aufstand und, um auszugehen, seinen Hut aufsetzte, eine Gelegenheit der Sache beizukommen, aber nicht zu grell.
    Wie! Das Haus verlassen, und uns abermals einschließen! Nimmermehr.
    »Oheim!« sagte ich.
    Er schien mich nicht zu hören.
    »Oheim Lidenbrock? rief ich nochmals laut.
    – Was? sagte er, wie ein Mensch, der plötzlich aufwacht.
    – Nun! dieser Schlüssel?
    – Welcher Schlüssel? von der Hausthür?
    – Nein, rief ich, der Schlüssel des Documents!«
    Der Professor sah mich über die Brille hinweg an; er bemerkte wohl etwas Ungewöhnliches in meinen Gesichtszügen, denn er faßte mich lebhaft beim Arm und fragte mich, unfähig zu reden, mit dem Blick. Doch war die Frage klar ausgesprochen.
    Ich bewegte den Kopf von oben nach unten.
    Er schüttelte den seinigen etwas mitleidig, als habe er’s mit einem Narren zu thun.
    Ich machte ein noch stärkeres Zeichen der Bejahung.
    Seine Augen glänzten lebhaft; seine Hand wurde drohend.
    Diese stumme Unterhaltung unter diesen Umständen hätte den gleichgiltigsten Zuschauer interessirt. Und wahrlich, ich wagte nicht einmal ein Wort zu sagen, aus Besorgniß, mein Oheim möge in den ersten freudigen Umarmungen mich ersticken. Aber es war doch dringend geworden, zu antworten.
    »Ja, dieser Schlüssel! … Zufällig! …
    – Was sagst Du? rief er in unbeschreiblicher Gemüthsbewegung.
    – Hier, sagte ich, und hielt ihm das Blatt Papier hin, worauf ich geschrieben hatte, lesen Sie.
    – Aber das bedeutet nichts! erwiderte er, indem er das Blatt zerknitterte.
    – Nichts«, und fing an, den Anfang zu lesen, aber vom Ende an …
    Ich hatte meine Phrase noch nicht fertig gelesen, als der Professor einen Schrei, mehr noch, ein wahres Gebrüll hören ließ! Es war seinem Geist ein Licht aufgegangen. Er war ganz umgewandelt.
    »Ach! sinnreicher Saknussemm! rief er aus, Du hattest also anfangs Deine Phrase umgekehrt geschrieben?«
    Und er fiel über das Papier her, mit trübem Auge, bewegter Stimme, und las das Document vollständig vom letzten Buchstaben aufwärts bis zum ersten.
    Es lautete also:
     
    In Sneffels Yoculis craterem kem delibat umbra Scartaris Julii intra calendas descende, audax Viator, et terrestre Centrum attinges. Kod feci.
     
    Arne Saknussemm
.
     
    Was in gut Deutsch sich so übersetzen läßt:
     
    Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, welchen der Schatten des Skartaris vor dem ersten Juli liebkoset, kühner Wanderer, und Du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen. Das hab ich vollbracht.
     
    Arne Saknussemm.
     
    Als mein Oheim dies gelesen, hüpfte er, als habe er unversehens eine Flasche Leydener getrunken. Vor Freude, Ueberzeugung und Kühnheit war er prachtvoll. Er ging hin und her, faßte seinen Kopf mit beiden Händen, rückte die Stühle, legte seine Bücher auf einander, spielte – kaum glaublich – Ball mit seinen kostbaren Klappersteinen, schlug mit der Faust hierhin, mit der Hand dorthin. Endlich wurden seine Nerven ruhiger und er sank erschöpft in seinen Lehnstuhl.
    »Wieviel Uhr ist’s doch? fragte er nach einer kleinen Weile.
    – Drei Uhr, erwiderte ich.
    – Höre! Mein Essen war bald vorüber. Ich habe Hunger zum Umfallen. Zu Tische. Hernach …
    – Hernach …
    – Wirst Du meinen Koffer packen.
    – Gut, rief ich.
    – Und den Deinigen!« erwiderte der unbarmherzige Professor beim Eintritt in das Speisezimmer.

 

    Axel am Elbufer. (S.

Weitere Kostenlose Bücher