Reise ohne Wiederkehr
Rettung europäischer Flüchtlinge ein. 1949 nahm er die US-Staatsangehörigkeit an, zog dann aber 1953 mit seiner Ehefrau nach Rom, später nach Basel. Der deutschen Sprache blieb er eng verbunden. In den Siebzigerjahren wurde er PEN-Präsident und erhielt mehrere literarische Auszeichnungen.
Zur Konzeption des Buches
Allgemein bekannt sind die Exilbiographien der „großen Namen“, vor allem der Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller und Politiker wie Thomas Mann, Albert Einstein und Bertolt Brecht. Die Exilerfahrungen solch berühmter Personen waren zweifellos einschneidend, aber aufgrund ihrer Prominenz und ihrer zahlreichen Kontakte hatten sie privilegierte Bedingungen und relativ große Handlungsspielräume. Gegenüber den prominenten Exilanten, die in Autobiographien über ihre Erfahrungen berichtet haben und deren Briefwechsel veröffentlicht sind, ist das Schicksal der „ganz normalen Exilanten“ viel komplizierter zu rekonstruieren. Sie haben ihre Briefe zu Hause aufgehoben |14| und irgendwann aussortiert, und sollten sie Tagebuch geführt haben, ist es vermutlich nicht veröffentlicht worden. Doch es sind diese unbekannten, vermeintlich unspektakulären Biographien, die den weitaus größten Teil der deutschsprachigen Emigration zwischen 1933 und 1945 ausmachen. Deshalb will dieses Buch nicht nur die berühmten Fälle beschreiben, sondern auch Einblick in die „gewöhnlichen“, letztlich wohl typischeren Exilschicksale geben. Neben geographischen Faktoren bestimmten Geschlecht, Alter, Beruf und Herkunftsmilieu, Familienstand, politische Ansichten, Ausbildung, sprachliche Fähigkeiten und nicht zuletzt Zufälle, wie die individuelle Exilerfahrung verlief und welche Bedeutung sie im jeweiligen Leben einnahm bzw. die Exilanten ihr zuwiesen.
Die zeitliche Eingrenzung des Buches (1933 bis 1945) ist entlang der Dauer der nationalsozialistischen Herrschaft gewählt. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Exil für einige bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann. Schon in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre wählten einige Menschen das Exil, weil sie sich in der rechtsnationalistischen, zunehmend radikalen Atmosphäre der späten Weimarer Republik nicht sicher fühlten, sich von den unruhigen politischen Entwicklungen distanzieren wollten oder nach größerem künstlerischen und professionellen Freiraum suchten. Auch das Enddatum, 1945, ist nur ein provisorischer Fixpunkt. Für die meisten Flüchtlinge endete das Exil nicht mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, sondern erst einige Jahre später – oder auch gar nicht. Die offizielle Bedrohung war 1945 vorüber, aber das hieß nicht, dass die Geflohenen ihre Identität und Lebensform als Exilanten gleich aufgegeben und sich in „Normalbür ger “ zurückverwandelt hätten. Das Exil kann ein Lebensschicksal sein, das sich nicht von einem auf den anderen Tag abwerfen lässt, sondern Spuren hinterlässt. Die Übergänge sind fließend, und es lässt sich nur schwer definieren, wo das Exil aufhört und die Emigration anfängt.
Auf Politiker, Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler, die aufgrund ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus das Land verlassen mussten, scheint das Konzept des Exils eher zuzutreffen als auf |15| die große Zahl der „rassisch“ Verfolgten. Doch letztlich lassen sich die Lebensläufe der betroffenen Menschen nur sehr bedingt in solche schablonenhaften Kategorien einpassen. Das Exil konnte sich zur Emigration wandeln, indem die Exilanten ein neues Zuhause fanden und sich im Exilland einlebten, das ihnen bald vertrauter erschien als die frühere Heimat. Einige Flüchtlinge verstanden sich im Moment ihrer Flucht nicht als Exilanten, sondern definierten sich erst später als solche, als sie die politische Situation in Deutschland aus der Distanz beobachteten. Andere verzichteten vollständig auf derlei Definitionen, weil es für sie vor allem darum ging, sich möglichst rasch in der neuen Umgebung zu etablieren, die damit einhergehenden Herausforderungen zu bewältigen und die Chancen zu nutzen, die sich aus der Flucht ergaben. Der Dichter, Maler, Schriftsteller und Soziologe Kurt H. Wolff (geboren 1912 in Darmstadt, gestorben 2003 in Boston), der 1933 nach Italien und 1939 in die USA ging, sperrte sich gegen jede Kategorisierung. Er wolle „nicht als Emigrant, Flüchtling oder Einwanderer definiert werden“, betonte Wolff, dessen Bruder in
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