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Reisen im Skriptorium

Reisen im Skriptorium

Titel: Reisen im Skriptorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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der Welt kein zweites Mal.
    Und dann war da nicht zuletzt meine Tante, Molly Fitzsimmons, die Frau, die Walt Rawley geheiratet hat. Ich habe ihm geholfen, seine Berichte zu schreiben.
    Walt wie?
    Rawley. Früher bekannt als Walt der Wunderknabe.
    Ah, ja. Das ist schon lange her, oder?
    Richtig. Sehr lange her.
    Und dann?
    Das war’s. Danach haben Sie mich in den Ruhestand geschickt.
    Warum sollte ich das getan haben? Was habe ich mir dabei gedacht?
    Ich hatte so viele Jahre geschuftet, und schließlich war es Zeit aufzuhören. Agenten halten nicht ewig. Das liegt in der Natur der Sache.
    Wann war das?
    Neunzehnhundertdreiundneunzig.
    Und welches Jahr haben wir jetzt?
    Zweitausendfünf.
    Zwölf Jahre. Was haben Sie gemacht, seit   … seit ich Sie in den Ruhestand geschickt habe?
    Ich war auf Reisen. Inzwischen bin ich fast in jedem Land der Welt gewesen.
    Und jetzt sind Sie wieder hier und betätigen sich als mein Anwalt. Es freut mich, dass Sie das machen, Quinn. Ich hatte immer das Gefühl, Ihnen vertrauen zu können.
    Das können Sie, Mr.   Blank. Deshalb hat man mir den Job gegeben. Weil wir uns schon so lange kennen.
    Sie müssen mich hier rausholen. Ich glaube, ich halte das nicht mehr aus.
    Das wird nicht einfach sein. Es laufen so viele Verfahren gegen Sie, dass ich in dem Papierkram ersticke. Sie müssen geduldig sein. Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine Antwort geben, aber ich habe keine Ahnung,wie lange es dauern wird, das alles in Ordnung zu bringen.
    Verfahren? Was wird mir denn vorgeworfen?
    Die ganze Tonleiter rauf und runter. Von krimineller Gleichgültigkeit bis zu sexueller Belästigung. Von Verabredung zum Betrug bis zu fahrlässiger Tötung. Von übler Nachrede bis zu Mord. Soll ich weitermachen?
    Aber ich bin unschuldig. Ich habe nichts von alldem getan.
    Darüber lässt sich streiten. Kommt immer darauf an, wie man es betrachtet.
    Und was geschieht, wenn ich verliere?
    Die Art der Bestrafung ist noch nicht ausdiskutiert. Eine Gruppe setzt sich für Milde ein, für eine pauschale Begnadigung in allen Punkten. Andere wollen Blut sehen. Und das sind nicht wenige. Eher eine ganze Bande, und die machen sich immer lautstärker bemerkbar.
    Blut sehen. Ich verstehe nicht. Meinen Sie etwa die Todesstrafe?
    Statt zu antworten, greift Quinn in die Tasche seines schwarzen Hemds, zieht ein Stück Papier hervor und entfaltet es, um Mr.   Blank vorzulesen, was darauf geschrieben steht.
    Vor zwei Stunden hat eine Sitzung stattgefunden, sagt Quinn. Ich will Ihnen keine Angst machen, aber dort hat jemand dies tatsächlich als eine mögliche Lösung vorgeschlagen. Ich zitiere:
Er soll durch die Straßen zum Platz seiner Hinrichtung geschleift werden, dort soll er gehängt und
lebendig vom Strick geschnitten werden, und man soll ihm das Herz und die Eingeweide herausreißen und die Geschlechtsteile abschneiden und vor seinen Augen ins Feuer werfen. Dann soll man ihm den Kopf vom Rumpf trennen und seinen Körper in vier Teile schneiden, über die wir nach unserem Ermessen verfügen werden
.
    Reizend, sagt Mr.   Blank. Und welche zarte Seele hat sich das ausgedacht?
    Das spielt keine Rolle, sagt Quinn. Mir liegt nur daran, dass Sie eine Ahnung davon bekommen, womit wir es zu tun haben. Ich werde bis zum bitteren Ende für Sie kämpfen, aber wir müssen realistisch sein. Wie es zurzeit aussieht, werden wir um einige Kompromisse nicht herumkommen.
    Es war Flood, stimmt’s?, fragt Mr.   Blank. Dieser abscheuliche kleine Mann, der mich heute früh so beleidigt hat.
    Nein, es war nicht Flood, aber das bedeutet nicht, dass er nicht gefährlich ist. Es war sehr klug von Ihnen, seine Einladung zu einem Spaziergang im Park auszuschlagen. Später haben wir entdeckt, dass er in seiner Jacke ein Messer versteckt hatte. Er hatte vor, sie aus dem Raum zu locken und draußen umzubringen.
    Ah. Dachte ich es mir doch. Dieser lausige, nichtsnutzige Schweinehund.
    Ich weiß, es ist hart, in diesem Raum eingesperrt zu sein, aber ich würde vorschlagen, Sie bleiben trotzdem hier, Mr.   Blank. Falls noch jemand kommt und Sie zueinem Spaziergang im Park einlädt, denken Sie sich irgendeinen Vorwand aus und sagen Sie nein.
    Es gibt also wirklich einen Park?
    Ja, es gibt wirklich einen Park.
    Und die Vögel. Sind die in meinem Kopf, oder kann ich sie wirklich hören?
    Was für Vögel?
    Krähen oder Möwen, was genau, kann ich nicht sagen.
    Möwen.
    Dann müssen wir in der Nähe des Meeres sein.
    Sie haben sich den Ort selbst

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