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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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Man kann das Atmen nicht weglassen.
    Also atme ich.
    Ich zähle alle Stufen, die ich hinaufgestiegen bin zu der Schlinge, die von der Decke meines Daseins baumelt, und ich zähle all die Gelegenheiten, bei denen ich mich dumm benommen habe, und mir gehen die Zahlen aus.
    Kenji ist heute fast gestorben.
    Wegen mir.
    Denn immerhin war ich daran schuld, dass Adam und Warner in Streit gerieten. Ich habe den Fehler begangen, zwischen die beiden zu treten. Und ich bin daran schuld, dass Kenji die beiden trennen wollte, und wenn ich nicht zwischen ihnen gestanden hätte, wäre Kenji nicht verletzt worden.
    Und nun stehe ich da. Und starre ihn an.
    Er atmet nur schwach, und ich flehe ihn an, das Eine zu vollbringen. Das einzig Wichtige. Er muss durchhalten, aber er hört mir nicht zu. Er kann mich nicht hören, aber er muss durchhalten. Er muss es schaffen. Er muss atmen.
    Ich brauche ihn.
    Castle hatte nicht viel mehr zu sagen.
    Einige standen in der Krankenstation, andere draußen, als er seine Ansprache hielt. Er sagte, wir seien eine Familie und müssten zusammenhalten, denn wen hätten wir schließlich außer uns selbst? Es sei ganz natürlich, Angst zu haben, aber wir müssten uns nun gegenseitig unterstützen. Uns zusammentun und zur Wehr setzen. Um unsere Welt zurückzuerobern.
    »Denn wir wollen leben«, sagte er.
    »Morgen werden wir noch alle gemeinsam frühstücken«, erklärte er. »Wir müssen gemeinsam losziehen in den Kampf. Auf uns selbst und die anderen vertrauen. Nehmt euch am Morgen ein wenig Zeit, um in euch selbst Frieden zu finden. Nach dem Frühstück brechen wir auf. Alle zusammen.«
    »Und Kenji?«, fragte jemand. Eine Stimme, die mir vertraut ist.
    James. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, sein Gesicht war tränenverschmiert, seine Unterlippe zitterte, obwohl er sichtlich versuchte, tapfer zu sein.
    Mein Herz zersprang in Stücke.
    »Was meinst du?«, fragte Castle.
    »Wird er morgen auch in den Kampf ziehen?«, fragte James, schniefend und mit zitternden Fäusten. »Er will kämpfen. Er hat mir gesagt, dass er kämpfen will.«
    Castle rang um Fassung. Es dauerte eine Weile, bis er antworten konnte. »Ich … ich fürchte, Kenji wird uns morgen nicht begleiten können. Aber vielleicht könntest du bei ihm bleiben und ihm Gesellschaft leisten?«
    James schwieg. Starrte Castle nur an. Dann schaute er auf Kenji. Blinzelte ein paar Mal. Drängte sich dann durch die Menge, kletterte auf Kenjis Bett. Kuschelte sich an ihn und schlief auf der Stelle ein.
    Das nahmen alle als Zeichen zum Aufbruch.
    Bis auf mich, Adam, Castle und die Mädchen. Ich finde es eigenartig, dass alle Tana und Randa als »die Mädchen« bezeichnen, als seien sie die einzigen Mädchen in Omega Point – was sie natürlich nicht sind. Ich weiß nicht, wie sie zu diesem Namen gekommen sind und würde eigentlich gerne fragen, bin aber zu erschöpft.
    Ich beuge mich vor, schaue auf Kenji, der mühsam atmet. Stütze den Kopf auf die Faust, kämpfe gegen den Schlaf an, der mich zu überwältigen droht. Ich verdiene es nicht zu schlafen. Ich sollte die ganze Nacht hierbleiben und auf Kenji aufpassen.
    »Sie beide sollten unbedingt schlafen gehen.«
    Ich fahre hoch, merke erst jetzt, dass ich kurz weggedöst war. Castle schaut mich mit seltsam mitfühlendem Blick an.
    »Ich bin nicht müde«, lüge ich.
    »Gehen Sie ins Bett«, sagt er. »Morgen ist ein wichtiger Tag. Sie müssen schlafen.«
    »Ich kann sie rausbringen«, sagt Adam und steht auf. »Ich komme dann gleich –«
    »Bitte«, unterbricht Castle ihn. »Gehen Sie beide schlafen. Die Mädchen sind ja auch hier.«
    »Aber Sie brauchen den Schlaf dringender als wir«, wende ich ein.
    Castle lächelt traurig. »Ich fürchte, ich werde heute Nacht ohnehin kein Auge zutun.«
    Er blickt auf Kenji, und etwas wie schmerzliche Zärtlichkeit huscht über seine Züge. »Wussten Sie«, sagt Castle zu uns, »dass ich Kenji kenne, seit er ein kleiner Junge war? Ich habe ihn gefunden, kurz nach der Gründung von Omega Point. Er ist hier aufgewachsen. Als ich ihn zum ersten Mal sah, wohnte er in einem Einkaufswagen, den er am Straßenrand gefunden hatte.« Er hält inne. »Hat er Ihnen die Geschichte jemals erzählt?«
    Adam setzt sich wieder. Und ich bin schlagartig hellwach. »Nein«, sagen wir beide wie aus einem Munde.
    »Ah – verzeihen Sie mir.« Castle schüttelt den Kopf. »Ich sollte Ihre Zeit nicht mit so etwas verschwenden. Ich habe einfach zu viel im Kopf im Moment. Und

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