Rettungskreuzer Ikarus Band 023 - Flucht von Borsai
offenbar stärker ausgeprägt, denn die Abneigung war die Triebfeder,
sich gegen die Bevormundung durch die Herren aufzulehnen. Die Abscheu war die
Ursache aller rebellischen Gedanken und für das Verschweigen brisanter
Informationen. Ja, die Angeli würden rebellieren, wenn sie könnten,
aber die Kit8ril hatten sie manipuliert, und auch die Vizianer waren nicht gefeit
gegen die Beeinflussung. Sie konnten sich dagegen auflehnen, kleine Siege davontragen,
aber langfristig würden sie verlieren – es sei denn, sie entdeckten
etwas, das ihren Geist befreite.
Shilla entsann sich, wie verbissen sie gegen die Verlockung angekämpft
hatte. Natürlich funktionierte ihr Gedächtnis hervorragend –
abgesehen von den Erinnerungen, die den Zeitraum betrafen, als Jason sie gefunden
hatte –, nur sah sie jetzt vieles aus einem anderen Blickwinkel und konnte
sich nicht länger mit den Empfindungen identifizieren, die sie vor der
Begegnung mit Me2Sam geleitet hatten. Es war, als wäre sie damals jemand
anderes gewesen. Eine Person, die zu sehr von Emotionen beherrscht wurde statt
von Logik. Wie auch immer, so wie es jetzt war, war es gut. Vielleicht konnte
es sogar noch besser werden, wenn sie die Achillesferse der Kit8ril entdeckte
und sich aus ihrer Kontrolle zu lösen vermochte.
Noch immer starrte sie sich im Spiegel an. Ein fließendes Gewand von silberner
Farbe fiel locker von ihren Schultern. Ein schmales Schmuckband lag um ihren
schlanken Hals. Nie hatte sie sich viel aus solchen Dingen gemacht. Daran hatte
sich auch nichts geändert, es war einfach nur angenehm, das alles zur Verfügung
zu haben, und über Personal zu gebieten, das sich um Belangloses kümmerte.
Kein Reparieren von defekten Antriebssystemen mehr.
Keine Verhandlungen mit schmierigen Händlern.
Kein Voyeur, der ihr stets heimlich beim Duschen zuschaute.
Kein…
Stattdessen hatte sie alle Zeit des Universums, das zu tun, was ihr gefiel:
Forschen, sich Wissen aneignen. Die Datenbank, die sie nutzen durfte, war großartig.
Flüchtig fragte sie sich, womit sich die Angeli beschäftigten, wenn
sie keine Aufträge für die Kit8ril ausführten. Nicht dass sie
sich wirklich dafür interessierte.
Mit einer ungnädigen Handbewegung scheuchte sie Akim hinaus, der devot
um ihre Aufmerksamkeit bat, ohne ihm Gehör geschenkt zu haben. Die Erhabene
war jetzt nicht in der Stimmung, ihren Herrlichen Lakai zu dulden.
Sie fühlte sich trotz allem seltsam… leer .
Der Palast, in dem Shilla residierte, war riesengroß. Sie konnte ihn stundenlang
durchstreifen, und noch immer blieben Räume und Etagen übrig, die
sie nicht betreten hatte. Weshalb die Angeli allein in Gebäuden lebten,
die Unterkünfte für die Bewohner einer Kleinstadt geboten hätten,
war für sie unverständlich. Es war überflüssig, uneffizient.
Sie musste weite Wege zurücklegen und verlor dadurch Zeit. Ging es wirklich
nur darum, Allmacht zu demonstrieren und die Primitivlinge, die außerhalb
des Erhabenen Kannya ihr kurzes Dasein fristeten, daran zu erinnern, dass sie
lediglich Vieh waren?
Natürlich hatten auch die vielen Helfer im Palast ihr Quartier, aber nur
selten bekam Shilla eines der scheuen Wesen zu Gesicht. Sie zogen sich meist
schnell zurück, wenn die Vizianerin erschien, um nicht allein durch ihre
Existenz die Erhabene zu beleidigen. Akim hatte einmal erwähnt, dass die
Diener meist eine Kammer zwischen den Wänden bei ihrer jeweiligen Arbeitsstätte
bewohnten, um dort immer gleich präsent zu sein, wenn sie benötigt
wurden.
Shilla befahl schließlich, dass man ihr bevorzugtes Schlafgemach in die
Halle mit der Datenbank verlegte, dort eine Hygienezelle installierte und auch
für einen Speisenautomaten sorgte. So gefiel es ihr hier erheblich besser.
Die übrigen Räumlichkeiten brauchte sie ohnehin nicht.
Um die Paläste herum waren prächtige Gärten angelegt worden,
die zu ausgedehnten Spaziergängen einluden, wenn man genug von der kalten
Pracht der Paläste hatte. Das Erhabene Kannya war eine Stadt in der Stadt
Tukinohune, bestehend aus verschiedenen funktionalen Einrichtungen, pompösen
Wohnungen und riesigen Parkanlagen. Von der Außenwelt abgeschirmt wurde
die »Angelienklave« durch ein Kraftfeld, das wie ein roter Schleier
den Himmel färbte. Einige Pteroiden hatten sich ins Innere der Tabuzone
verirrt, als zum letzten Mal eine Strukturlücke für das ankommende
Schiff
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