Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
Kapitel 1
Die Nacht lag über Natriell. Ein voller Mond zeichnete sich fern der Berge ab, die die alte Stadt Comoérta umschlossen, ehe sie den Blick auf das Meer freigaben.
Die Sterne funkelten in der frühwinterlichen Kühle um die Wette und beleuchteten den Sand der roten Wüste, die etwa drei Tagesritte im Landesinneren der Alten Welt lag. Ein Meer aus Rubinen, die in der Nacht eine sanfte Wärme von sich gaben, während sie am Tage ein Betreten fast unmöglich machten. Auf ihrem Boden leuchteten zwölf Fackeln in einem Kreis. In ihrer Mitte standen sechs Männer und Frauen zusammen. Gekleidet in blauschwarze Mäntel.
»Ich hoffe, dieser nächtliche Ausflug bringt mehr als nur Schlafmangel«, erklangen die unzufriedenen Worte eines Mannes. Neben ihm hob eine Frau den Kopf. Ihre Augen und ihr Haar waren weiß, wie frisch gefallener Schnee. »Du solltest dich zügeln in deiner Wortwahl, Tamin.« Er zuckte beiläufig mit den breiten Schultern und lachte sie verschmitzt aus hellblauen Augen an. Mit einer Hand fuhr er sich durch die kurzen blonden Haare und gähnte ausgiebig.
»Du hast das Benehmen eines Isgrins.« Damit schritt die Magierin an ihm vorbei und trat neben einen Mann, der etwas abseits von ihnen am Rande der Fackeln stand und in die Ferne blickte. Er trug ebenso einen blauschwarzen Umhang, den an den Säumen goldfarbene Stickereien zierten.
Den hageren Körper etwas gebeugt, stützte er sich mit beiden Händen auf einen schwarzen Stab. Im Licht des Mondes leuchteten goldene Gravuren auf der glatten Oberfläche. Ein langer grauer Bart und ebensolches Haar wiesen auf das hohe Alter seines Trägers hin. Ein Blick in sein faltiges Gesicht bestätigte dies. »Du solltest ihm nicht böse sein, Filyma. Es ist die Ungeduld der Jugend, die aus ihm spricht.«
»Er ist jetzt seit zehn Jahren Kreismitglied und sollte seinen Heißsporn etwas zügeln können, Shorbo.«
Shorbo zwinkerte ihr zu und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Horizont. »Die Elemente haben uns hierher gerufen. Tamin beherrscht Magie, doch kann er die Stimmen, die darin liegen, nicht hören. Es ist lange her, dass die Magiewesen in dieser Form an uns heran getreten sind.«
Ein leichter Luftzug wirbelte Funken von den Fackeln in den klaren Nachthimmel. Tamin trat neben die beiden. »Wird es noch lange dauern?«
Mit ihrer abweisenden Art musterte Filyma den Jüngeren, als wolle sie ihn zu Eis gefrieren lassen. »Tamin, so spricht kein Mitglied des Kreises, es ist deiner nicht würdig. Akzeptiere, was dir gegeben ward und achte die Regeln…«
Sie brach ab und wandte sich um. Der Wind wechselte die Richtung und brachte ein leises Donnern mit sich. Ein Vibrieren zog durch den Boden. Die Sandkörner begannen zu tanzen.
Unruhig hoben alle die Köpfe. Wolken türmten sich auf und zwischen ihnen stoben blaue Blitze hindurch. Der Wind nahm an Stärke zu und entwickelte sich zu einem Orkan. Er fegte um den Kreis, riss den Sand in die Höhe, jedoch ohne die Fackeln zu löschen und ohne in das Innere des Kreises einzudringen.
»Bei allen Himmeln«, rief Tamin ehrfürchtig. Er konnte fühlen, wie sich jedes Haar auf seinen Armen aufstellte, verursacht durch die Elektrizität, die in der Luft lag. Das Donnern kam immer näher, gefolgt von einem Rauschen. Der Sand umwirbelte so dicht und hoch den Kreis der Fackeln, dass ein Hindurchsehen nicht mehr möglich war.
Shorbo, der Kreisführer Natriells, trat an den nördlichsten Rand des Kreises. Die Inschrift seines Stabes leuchtete hell und strahlend unter der Kraft der alten Magie. Er senkte den Kopf und folgte den Strömen des Windes, um seine Ehrerbietung zu zeigen, die er gegenüber den Elementen empfand. Sein langer weißer Bart und sein Mantel wurden zur Seite geweht. Es hatte den Anschein, als würden ihn die Elemente begrüßen. Die anderen hinter ihm senkten nun ebenfalls die Köpfe und legten die Hände übereinander.
Hinter der Wand aus Sand und Wind landete etwas Gewaltiges und Mächtiges. Seine Gegenwart verhieß altes Wissen, unglaubliche Macht und Weisheit. Zum Greifen nahe.
Ein Brüllen hallte ihnen entgegen.
Tamins Augen wurden groß. Er besaß die Frechheit, die Einheit der anderen zu verlassen und an Shorbos Seite zu treten.
»Was ist das?«
»Mein junger Freund, lerne Achtung vor den oberen Gesetzen. Verneige dich vor dem Ursprung aller Magie.« Als ob der Wind Shorbo recht geben wollte, fegte er dem jungen Magier Sand ins Gesicht.
Plötzlich war es still. Kein
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