Revelations
als Köder für Angel missbraucht hatte. Mit der Pistole im Anschlag stampfte er auf sie zu.
»Du ...!«
»Was geht hier vor? Warum bekriegen sich eure Leute plötzlich untereinander?«, fiel ihm Jiao ins Wort. Sie ließ die vernickelte Handfeuerwaffe unter ihrem schneeweißen Poncho verschwinden und deutete Dog mit ernstem Blick, dasselbe zu tun.
»Was für eine Rolle spielt das?«, grollte der Hüne, ohne das geringste Anzeichen, dass er ihrer Weisung folge leisten würde.
»Das ist meine Mission, klar?«, erwiderte Jiao angespannt. Sie stellte sich demonstrativ zwischen Jade und Dogs Pistole. »Nimm die Waffe runter, sofort!«
Zähneknirschend gab er klein bei und überzeugte sich selbst davon, dass der Zeitpunkt der Rache nicht mitten in Feindesland und während eines Volksaufstands gekommen sei.
»Also? Was geht da draußen vor?«, wiederholte sich Jiao etwas entspannter.
»Scarlet hat in ein Wespennest gestochen. Sie war sich wohl nicht im Klaren darüber, was die Sprengung eines Hauses in Arnac für Folgen nach sich ziehen würde.«
»Moment, Moment«, unterbrach Jiao sie verwirrt. »Scarlet ist tot!«
»Das hat dir dein Vater erzählt«, erwiderte Jade und lächelte dabei mitleidig.
Cassidy war inzwischen aus dem Nebenraum dazugekommen und sah fassungslos mit an, wie die manische Schwertkämpferin Jiao sanft mit ihren Fingerrücken über die linke Wange strich. Jiao zeigte zu Beginn keinerlei Anzeichen für Widerstand und schloss sogar einen Moment lang die Augen, als wäre sie in einer Trance gefangen. Dog grollte zornig und selbst Cassidy war kurz davor, die traute Zweisamkeit zu beenden, da ergriff Jiao Jades Handgelenk und hielt sie mit einem entschlossenen Blick von weiteren Zärtlichkeiten ab.
»Warum bist du hier?«
»Dachtest du vielleicht, ich würde dich in diesem Rattenloch allein lassen?«, erwiderte Jade in einem Tonfall tiefster Kränkung. Ohne auf eine Antwort zu warten, wendete sie sich den beiden anderen zu. »Ihr könnt entweder mitkommen oder hier verrecken!«
Mit diesen Worten trat sie aus der Tür und beorderte ihre Kommandoeinheit herbei. Cassidy und Dog blickten Jiao fragend an.
»Können wir ihr trauen?«
Jiao schien sich unsicher zu sein, wie an der Schlucht, als sie von Angel eine Lektion über die Barbaren der Steppe erhalten hatte. Sie nickte verlegen und folgte Jade in die Nacht hinaus.
***
Jades sechsköpfige Leibgarde hatte sich in zwei Gruppen aufgeteilt. Vier von ihnen übernahmen die Vorhut und sicherten routiniert jeden Winkel, jeden Türrahmen und jedes offene Fenster auf dem Weg nach Norden. Zwei Männer blieben so lange verschanzt, bis die anderen ihnen durch leise Zurufe das Signal zum Aufrücken gaben. Die übrigen beiden Soldaten wechselten sich regelmäßig bei der Nachhut ab. Cassidy erinnerte das professionelle Vorgehen mittels lautloser Zeichensprache und der Einsatz von Spiegeln und Schalldämpfern sehr an das militärische Training der Ranger von Silver Valley. Die ganze Zeit spürte sie Jades abschätzende Blicke auf ihrem Rücken, die sie vor sich herzutreiben schien. Am liebsten hätte sie Jiao auf der Stelle nach den Einzelheiten ihrer Bekanntschaft mit ihr befragt, doch momentan stellte Jades Leibgarde den einzigen Schutz vor der aufeinander losgehenden Stadt dar.
Dog sah unterdessen überhaupt nicht ein, warum er Jade den Rücken zukehren sollte und hatte zu Beginn versucht, sich der Nachhut anzuschließen. Nachdem Jade ihn jedoch nie aus den Augen gelassen hatte, einigten sich die beiden wortlos darauf, nebeneinander zu laufen.
Auf dem Weg zum Nordausgang trafen sie wiederholt auf provisorisch errichtete Straßensperren aus verbeulten Autos, Steinen von zusammengestürzten Gebäuden und allem möglichen Schrott, den die Legion auf die Schnelle herbeigeschafft hatte. Jade vermied dabei jede Art von Konfrontation und dirigierte ihren Trupp lautlos durch enge Häuserschluchten und verwaiste Wohnhäuser. Wann immer sie auf Legionäre trafen, ging einer von Jades Männern mit gesenktem Gewehr auf sie zu und klärte die Lage diplomatisch, ganz ohne Drohgebärden oder gar Feuergefechte. Anschließend folgte dasselbe Spiel wie bei Angels Einlass in die Stadt. Die Soldaten gaben umgehend den Weg frei, drängten aber zur Eile, um die Straße hinter ihnen wieder sperren zu können. Dabei blieben Cassidy die fragenden Blicke darüber, mit wem die Bacchae durch Arnac schlich, nicht verborgen, doch niemand wagte es, sie aufzuhalten, um zu
Weitere Kostenlose Bücher