Rheinmaerchen
ich ein paar Minuten stillegestanden, wurde es mir, als sei ich zu Hause am Rhein; ich ging links an den kleinen Schrank, wo dort das Feuerzeug stand, und siehe da! ich fand den Schrank, ich fand das Feuerzeug; schnell schlug ich Licht und ging mit dem brennenden Schwefel nach der Stelle, wo am Rhein die Lampe an einen Pfeiler hing; ich fand den Pfeiler und die Lampe; aber es war kein Öl drinnen, ich steckte daher einen Kienspan an, und wie das Licht um mich herleuchtete, sah ich alles, alles rings um mich: Treppen, Räder, Mühlbeutel, Türen und Hausrat wie zu Hause; ja der Mondschein fiel durch einen Spalt der Stubentüre auf den Hausflur wie zu Haus; ich eilte in die Stube selbst: da stand der Tisch, der Stuhl, das Bett wie zu Haus. Ich war wie in einem Traum und eilte nun noch hinaus auf den Mühldamm, um zu sehen, ob denn auch der Rochusberg mir gegenüberstehe und ob ich denn wirklich am Rhein sei. Alle kleinen Gänge und Stufen bis zu dem Damm waren dieselben. Gegen mir über war ein Berg mit einem hochgetürmten Schloß; es war aber nicht die Rochuskapelle, und vor mir breitete sich der weite Spiegel eines Sees aus, und es war der Rhein nicht; doch machte die Gegend mir einen ähnlichen Eindruck, nur stiller, einsamer, weiter und ernsthafter. Lang saß ich und sah in die grünen Wellen des Sees, den Mond und die Sterne an; aber die Augen sanken mir, ich vergaß ganz, wo ich war, und ging in meine Stube zurück, betete und legte mich aufs Bett.
Ich hatte die Gewohnheit zu Hause, indem ich mich niederlegte, an der Klingel zu ziehen, um meine Mühlbursche zu erwecken, und so griff ich denn auch hier im Dunkeln nach der bekannten Schelle, fand sie, klingelte und legte mich nieder.
Kaum aber hatte ich wenige Minuten gelegen, so hörte ich ein verwirrtes Plaudern und Lärmen in der Mühle, das mich nicht wenig ängstigte. »Kunz, steh auf!« schrie einer, »die Reihe ist an dir; fülle den Trichter auf!« – »Ei, Dietz!« schrie der andere, »du hasts verschlafen, du bist dran.« – »Martin! Martin! das ist ein dummer Spaß,« rief ein anderer zornig, »das hast du getan, mich so in Haare einzuwickeln.« Endlich schrie ein anderer: »Was ist das? Die Mühle steht ja still! Wartet, ihr Schelme, wenn das Meister Radlauf merkt!« Und so ward das Gespräch immer heftiger, und bald ward es ein lautes Getös und Schimpfen.
Ich geriet darüber in eine wunderliche Unruhe, weil ich geglaubt, die Mühle sei ganz unbewohnt; da ich nun endlich meinen Namen Meister Radlauf hörte, ermannte mich und, trat mit dem Licht an die Türe und rief heraus: »Nur die Räder sollen in der Mühle lärmen, die Knappen aber fein ehrbar und züchtig sein; tretet alle herein und sagt mir euern Streit, damit ich Gerechtigkeit handhabe.« Kaum hatte ich dies gesprochen, als zwölf wunderbar alte Männer zu mir hereintraten, ich erstaunte aber kaum so sehr über dieselben, als sie selbst über einander und über mich; ja sie waren vor Schrecken über die langen grauen Bärte, die sie hatten, und über ihre alten Gesichtszüge ganz außer sich und gerieten endlich in eine solche Angst, daß sie wie die Kinder weinten. Mit Mühe brachte ich es endlich dahin, daß einer von ihnen für alle die andern folgendermaßen sprach:
»Liebster Meister! wir müssen wohl erschrocken sein, und wundert es mich, daß Ihr selbst nicht bestürzter erscheint; seht uns an, wir sind durch Hexerei grau und alt geworden; gestern tanzten wir auf der Kirchweihe alle andern Bursche nieder; wir waren die letzten auf dem Platz, und alle Mägdlein gaben uns den Preis und banden uns die Bänder von ihren Mützen um die Hüte; ach Gott! noch höre ich das Hackbrett zimpern und den Dudelsack summen; noch ist mir, als wenn der Tanzboden sich mit mir umdrehte, und nun, da wir durch Eure Klingel erweckt wurden, finden wir uns alt, müd, verdorrt und verrunzelt und in unsere langen grauen Bärte verwickelt; und seht den Jammer nur an! Seht hier den Kirmskuchen, den wir gestern frisch mit nach Hause brachten, er ist so hart als unsere Mühlsteine; da jeder erwachend nach seinem Kuchen griff, bissen sich mehrere die alten Zähne aus und schlugen dem andern ein Loch mit dem Kuchen in den Kopf, weil jeder glaubte, der andere habe ihm einen Schabernack angetan. Ach! und Ihr selbst, Meister! seid so ganz ruhig, als sei nichts geschehen; seht Euch doch einmal näher an; Ihr habt ja eine ganz wunderliche Tracht auf dem Leibe und habt die Haare zugestutzt, wie ich mein Tage nichts
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