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Rheinmaerchen

Rheinmaerchen

Titel: Rheinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Brentano
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bösen Königs Kerker entkommen war, fand ich auf meiner Mühle einen Mehlsack, worauf mir des seligen Herrn von Starenberg Hochwohlgeborne Gnaden ihren letzten Willen geschrieben; ich sollte mit diesem Sack und dem Siegelring, den ich im Käficht fand, nach dem Schwarzwald gehen und mich bei dem Grubenhansel als seinen Erben melden; und dahin machte ich mich nun auf den Weg, und daher komm ich nun zurück. Nun hört aber zu.
    Nach vielen Tagereisen sah ich endlich ein dunkles waldiges Gebirge wie eine Gewitterwolke vor mir aufsteigen; je näher ich kam, je höher ward es; nun kamen mir eine Menge Bauernwägen mit Holz entgegen; ich fragte einen nach dem andern, ob dies der Schwarzwald sei. »Ja«, sagten sie. »Wo wohnt denn der Grubenhansel?« fragte ich; das wußte aber keiner.
    Ich ging nun bergan; da krochen arme Weiber und Kinder unter den Bäumen herum und suchten sich Reiserholz zusammen. »Ihr guten Leute, wo wohnt der Grubenhansel?« Sie wußten es nicht. Ich ging in einer wilden Waldschlucht an einem Bächlein hinauf; da grasten Ziegen, und Kinder saßen dabei und schnitzten Kienspäne. »Ihr Kinder, wo wohnt der Grubenhansel?« Aber kaum, daß ich diese Worte gesagt, flohen sie mit großem Geschrei vor mir in die Gebüsche.
    Ich zog immer weiter in den Wald; es ward immer dichter und wilder und stiller. Da hörte ich eine Weiberstimme singen; ich ging auf sie los; sie suchte Arzneikräuter und grub Wurzeln, und war eine Frau von etwa fünfzig Jahren; ich fragte sie freundlich, wo der Grubenhansel wohne. Sie lachte mir ins Gesicht und sprach: »Das weißt du gewiß so gut als ich, du willst meiner nur spotten« – und so oft ich ihr auch versicherte, daß ich es nicht wisse, sprach sie immer wieder: »Du willst mich zum Narren halten, wer wird das nicht wissen.«
    Unwillig über sie ging ich tiefer in den Wald; da kam ich auf einen offnen Platz, wo Kohlen gebrannt wurden; ich suchte rings herum nach dem Köhler, konnte ihn aber nicht finden; endlich hörte ich etwas schluchzen und weinen; die Stimme kam aus einem hohlen Baum. Als ich nahe hinzutrat, fand ich einen alten greisen Mann, wohl siebzig Jahre alt, in dem Baume stecken; er drehte das Gesicht weg, so daß er mich nicht sah, und schrie immer: »Kautzenveitel! schlag den Kohlenjockel nicht mehr.«
    Mit vieler Mühe überzeugte ich ihn, daß ich der Kautzenveitel nicht sei und ihn auch nicht schlagen wolle; und da der alte wunderliche Mann endlich aus dem Baum herausgekrochen war, sperrte er vor Erstaunen über mich das Maul auf.
    Ich fragte ihn, warum er weine. »Ach!« sagte er, »mein Vater hat mir Schläge gegeben.« – »Wer ist den Euer Vater?« sagte ich. »Ich bin der Kohlenjockel,« erwiderte er, »mein Vater ist der Kautzenveitel.« Hierauf fragte ich ihn, wo der Grubenhansel wohne. »Eine Stunde von hier«, sagte er. »Führt mich doch zu ihm«, sprach ich. »Behüte Gott!« erwiderte er, »wenn mich mein Vater erwischte, daß ich spazieren ging, er schlüge mir Arm und Bein entzwei.« Nach diesen Worten lief er an seinen Kohlenhaufen und arbeitete ängstlich.
    Höchst verwundert über dieses alte Kind ging ich tiefer in den Wald; selten erblickte ich ein wenig blauen Himmel über mir; die Eiche deckte mit ihren breiten Armen alles zu, aber die Vögel sangen und schrieen laut durcheinander, und es gellte ihr grelles Pfeifen von den Felsen ringsum zurück.
    Nun bemerkte ich hie und da Sprenkel und Dohnen und sonst allerlei Schlingen gestellt, in denen sich verschiedene Vögel gefangen hatten; dann kam ich an einen Vogelherd; dann an eine Krähenhütte; zuletzt aber an einen ziemlich hohen blätterlosen Baum, auf welchem ein so entsetzlich großer Eulenkauz saß, daß ich ihn vor Schrecken kaum ansehen konnte.
    Die Vögel groß und klein: Auerhahnen, Birkhähne, Kraniche, Trappen, Fasanen, Tauben und alle Arten Singvögel flogen um das Ungeheuer herum und schrieen es an; wenn sie sich aber auf den Baum setzten, der mit Vogelleim bestrichen und mit vielerlei Schlingen behängt war, waren sie gefangen; und wie erschrak ich nicht, als der große Eulenkönig einen Arm mit ordentlichen Fingern unter dem Flügel hervorstreckte und nach den gefangenen Vögeln griff.
    Ich tat vor Schrecken einen lauten Schrei, worauf der Kauz mich bemerkte und zusammenfahrend mir entgegenrief: »Nun, nun, Bengel! erschreck die Leute nicht so; du jagst mir ja alle Vögel hinweg.« Nach diesen Worten kam das Untier den Baum herabgeklettert; meine Angst war nicht

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