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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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eine Schippe und ein Sieb und jede Menge Förmchen besessen. Irgendwann hatte ich mit der Schippe ein Loch gegraben, das Sieb und die Förmchen reingeworfen und die Schippe hinterher. Dann hatte ich alles mit den Händen zugeschaufelt und das Zeug nie wiedergefunden.
    Ich guckte noch ein bisschen zum Spielplatz und freute mich für die vielen kleinen Dötzekens, die schlauer waren als ich, und dann fiel mir die Fundnudel wieder ein. Ich ging langsam über den Gehsteig, den Blick auf die grauen Pflastersteine am Boden gerichtet. Ich sah ein zerknülltes Duplo-Papierchen. Ich sah ein paar Scherben, die vor den großen Altglascontainern verstreut lagen, und eine ausgetretene alte Zigarettenkippe. Dann sah ich zwei kleine Füße mit hellen Strümpfen in offenen Sandalen.
    Ich hob den Kopf. Der Junge, der da vor mir stand, reichte mir gerade so bis an die Brust. Das heißt, sein dunkelblauer Sturzhelm reichte mir bis an die Brust. Es war ein Sturzhelm, wie ihn Motorradfahrer tragen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es die auch für Kinder gibt. Es sah völlig beknackt aus. Das Durchguckding vom Helm war hochgeklappt.

    »Was machst du da?«, sagte der Junge. Seine Zähne waren riesig. Sie sahen so aus, als könnte er damit ganze Stücke aus großen Tieren rausbeißen, einem Pferd oder einer Giraffe oder dergleichen.
    »Ich suche was.«
    »Wenn du mir sagst, was, kann ich dir helfen.«
    »Eine Nudel.«
    Er guckte sich ein bisschen auf dem Gehsteig um. Als er den Kopf senkte, brach sich spiegelnd und blendend Sonnenlicht auf seinem Helm. An seinem kurzärmeligen Hemd, bemerkte ich, war ein winziges knallrotes Flugzeug befestigt wie eine Brosche. Eine Flügelspitze war abgebrochen. Zuletzt guckte der kleine Junge kurz zwischen die Büsche vor dem Zaun vom Spielplatz, eine Idee, auf die ich noch gar nicht gekommen war.
    »Was für eine Nudel ist es denn?«, sagte er.
    »Auf jeden Fall eine Fundnudel. Eine Rigatoni, aber nur vielleicht. Genau kann man das erst sagen, wenn man sie gefunden hat, sonst wäre es ja keine Fundnudel. Ist doch wohl logisch, oder?«
    »Hm ...« Er legte den Kopf leicht schräg. Der Mund mit den großen Zähnen drin klappte wieder auf. »Kann es sein, dass du ein bisschen doof bist?«
    Also echt!
    »Ich bin ein tiefbegabtes Kind.«
    »Tatsache?« Jetzt sah er wirklich interessiert aus. »Ich bin hochbegabt.«
    Nun war ich auch interessiert. Obwohl der Junge viel kleiner war als ich, kam er mir plötzlich viel größer vor. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Wir guckten uns so lange an, dass ich dachte, wir stehen hier noch, wenn die Sonne untergeht. Ich hatte noch nie ein hochbegabtes Kind gesehen, außer mal im Fernsehen bei Wetten, dass .. ? Da war ein Mädchen gewesen, das spielte wie eine Bekloppte irgendwas total Schwieriges auf der Geige, und gleichzeitig rief der Gottschalk ihr kilometerlange Zahlen zu und sie musste dann sagen, ob es eine Primzahl war oder nicht. Frau Dahling hatte, ohne zu kauen, ein Lachsmüffelchen runtergeschluckt und gesagt, die Kleine würde es mal weit bringen, weshalb ich gedacht hatte, Primzahlen wären was Wichtiges. Sind sie aber nicht.

    »Ich muss jetzt weiter«, sagte ich endlich zu dem Jungen. »Bevor es dunkel wird. Sonst verlaufe ich mich womöglich.«
    »Wo wohnst du denn?«
    »Da vorn, das gelbe Haus. Die 93. Rechts.«
    Ich ärgerte mich im selben Moment, dass ich rechts gesagt hatte. Erstens wusste ich nicht wirklich, ob es rechts war oder nicht doch eher links, und zweitens liegt gegenüber der Häuserzeile das alte Urban-Krankenhaus, lang gestreckt wie eine schlafende Katze, und man erkennt sofort, dass das kein Wohnhaus ist.
    Der Junge schaute an meinem ausgestreckten Arm entlang. Als er die 93 sah, rutschte seine Stirn erst rauf, als wäre ihm gerade eine tolle Erleuchtung gekommen oder so was, und dann wieder runter, als würde er gründlich über etwas nachdenken.
    Zuletzt wurde seine Stirn wieder ganz glatt und er grinste. »Du bist wirklich doof, oder? Wenn man etwas direkt vor Augen hat und nur geradeaus gehen muss, kann man sich unmöglich verlaufen.«
    Immerhin stimmte die Straßenseite. Trotzdem wurde ich langsam sauer. »Ach ja? Ich kann das. Und wenn du wirklich so schlau wärst, wie du behauptest, wüsstest du, dass es Leute gibt, die das können.«
    »Ich —«
    »Und ich sag dir noch was: Es ist kein bisschen witzig!« Alle Bingokugeln waren auf einmal rot und klackerten durcheinander. »Ich hab mir nicht ausgesucht, dass aus meinem Gehirn

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