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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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bin nicht so klein wie die anderen Kinder, die bis jetzt entfuhrt worden sind. Und ich bin älter.«
    »Ja, ich weiß.« Sie pfriemelte die Packung auf. »Trotzdem hätte ich dich in den letzten Wochen jeden Tag zur Schule bringen und auch wieder abholen sollen.«
    Mama arbeitet bis frühmorgens. Wenn sie nach Hause kommt, bringt sie mir eine Schrippe mit, gibt mir einen Kuss, bevor ich ins Förderzentrum abzische, und dann legt sie sich schlafen. Sie steht dann meistens erst nachmittags auf, wenn ich längst wieder daheim bin. Es hätte nie geklappt, mich wegzubringen und wieder abzuholen.
    Sie hielt kurz inne und kräuselte die Nase. »Bin ich eine verantwortungslose Mutter, Rico?«
    »Quatsch!«
    Einen Moment lang sah sie mich nachdenklich an, dann kippte sie die tiefgefrorenen Fischstäbchen aus der Packung in die Pfanne. Die Butter war so heiß, dass es spritzte. Mama machte einen kleinen Hüpfer zurück. »Kackdinger! Jetzt stink ich nach dem Zeugs!«
    Sie würde sowieso noch duschen, bevor sie heute Abend in den Club ging. Nach Fischstäbchen duscht sie immer. Das teuerste Parfüm der Welt, hat sie mal gesagt, klebt nicht so sehr an einem dran wie der Geruch von Fischstäbchen. Während die Dinger in der Pfanne brutzelten, erzählte ich ihr von meiner Fundnudel und dass Fitzke sie vernichtet hatte, weshalb ich jetzt nicht mehr rauskriegen konnte, wem sie gehört hatte.
    »Der alte Saftsack«, murmelte sie.
    Mama kann Fitzke nicht ausstehen. Vor ein paar Jahren, als wir in die Dieffe 93 eingezogen waren, hatte sie mich durchs ganze Haus mitgeschleppt, um uns den Nachbarn vorzustellen. Ihre Hand war ganz schwitzig gewesen, voll der Klammergriff. Mama ist mutig, aber nicht kaltblütig. Sie hatte Angst gehabt, die Leute könnten uns nicht leiden, wenn sie rauskriegten, dass sie keine Dame war und ich ein bisschen behindert. Fitzke hatte auf ihr Klopfen geöffnet und im Schlafanzug vor uns gestanden. Im Gegensatz zu Mama, die sich nichts anmerken ließ, hatte ich gegrinst. Das war wohl der Fehler gewesen. So in etwa hatte Mama dann gesagt, Tach, ich bin also die Neue hier, und das ist mein Sohn Rico. Er ist ein bisschen schwach im Kopf, aber da kann er nichts für. Wenn er also mal was anstellt ...
    Fitzke hatte die Augen zusammengekniffen und das Gesicht verzogen, als hätte er einen schlechten Geschmack im Mund. Dann hatte er, ohne ein Wort, uns die Tür vor der Nase zugeknallt. Seitdem nennt er mich Schwachkopf.
    »Hat er Schwachkopf zu dir gesagt?«, fragte Mama.
    »Nee.« Es bringt ja nichts, wenn sie sich aufregt.
    »Der alte Saftsack«, sagte sie noch mal.
    Sie fragte nicht, warum ich unbedingt hatte rausfinden wollen, wem die Nudel gehörte. Für sie war das eine von Ricos Ideen, und das stimmte. Nachfragen hatte da keinen Zweck.
    Ich guckte ihr zu, wie sie die Fischstäbchen wendete. Sie dudelte dabei ein kleines Lied vor sich hin, verlagerte ihr Gewicht von dem linken auf den rechten Fuß und dann wieder zurück. Zwischendrin deckte sie den Tisch. Die Sonne fiel durchs Fenster und die Luft roch lecker nach Sommer mit Fisch. Ich fühlte mich sehr wohl. Ich mag es, wenn Mama kocht oder irgendwas anderes Kümmeriges macht.
    »Blutmatsche drauf?«, sagte sie, als sie fertig war.
    »Klar.«
    Sie stellte die Ketchup-Flasche auf den Tisch und schob mir meinen Teller hin. »Also keine Begleitung zur Schule?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt sind ja erst mal Ferien. Vielleicht schnappen sie ihn in der Zeit.«
    »Ganz sicher?«
    »Ja-haa!«
    »Gut.«
    Sie schaufelte die Fischstäbchen förmlich in sich rein. »Ich muss bald los«, erklärte sie auf meinen fragenden Blick. »Will mit Irina zum Friseur.« Irina ist Mamas beste Freundin. Sie arbeitet auch im Club. »Erdbeerblond, was meinst du?«
    »Ist das rot?«
    »Nein. Blond mit einem ganz leichten Stich ins Rödiche.«
    »Was hat das mit Erdbeeren zu tun?«
    Und was für ein Stich?
    »Die haben auch so einen Stich.«
    »Erdbeeren sind knallrot.«
    »Nur, wenn sie reif sind.«
    »Aber vorher sind sie grün. Was für ein Stich?«
    »Sagt man halt so.«
    Mama mag es nicht, wenn ich nachbohre, und ich mag es nicht, wenn sie so redet, dass ich sie nicht verstehe. Manche Sachen haben ziemlich bescheuerte Namen, da wird man ja wohl mal fragen dürfen, warum sie so heißen, wie sie heißen. Ich frage mich zum Beispiel, warum Erdbeeren Erdbeeren heißen, obwohl man sie nicht aus der Erde buddeln muss.
    Mama schob den leeren Teller von sich. »Uns fehlen ein paar Sachen

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