Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
mit gelbem Kreidepulver in den Kies gemalt worden war, zu den einzelnen Kieshaufen. Hinter der Startlinie standen die Maschinen: zwei Caterpillar vom T yp C 47, eine Komatsu D75S, eine kleine 35er Liebherr, und ganz rechts außen stand Ewald Fricker mit seiner alten Fiat -A llis FL 10. Noch liefen die Motoren nicht, aber es herrschte aufgeregtes Gewusel rund um die Maschinen. A llein Ewald saß auf der Motorhaube seiner Fiat -A llis und spielte A kkordeon, und zwar ausgerechnet »La Paloma«. Sein Freund Schorsch, der an seiner Komatsu die Spannung der Raupenkette kontrollierte, konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen:
»Was spielst’ denn da wieder, Ewald? Seemannslieder! Eine Raupe ist doch kein Schiff!«
»›La Paloma‹ heißt auch nicht Schiff, sondern T aube. Und das klingt fast ein bissel wie Raupe.«
»Du bist doch ein spinnerter Hund, Ewald.«
»Schon. A ber wenn man das weiß, dann ist das gar nicht so schlimm. Schlimm wär’s bloß, wenn man’s nicht merken tät.«
Die anderen Männer, die sich um ihre Raupen kümmerten, lachten: der Franz Holdenrieder, der Sohn vom Metzger auf seiner Caterpillar, und der junge Kevin Maierhöfer, der es dieses Jahr mit der Liebherr versuchen wollte.
Karin Zwerger schenkte Rita noch einen Blick von Frau zu Frau, dann ging sie weiter, durchs Gewühl auf das Podium zu. Rita dachte sich, dass die Männer mit ihren Raupen genau die gleichen Knallköpfe waren wie in ihrer mecklenburgischen Heimat, aus der sie geflohen war. Und sie kam sich ein bisschen schäbig vor ob der Freundlichkeit, die Frau Zwerger ihr entgegenbrachte: Offenbar hatte die Frau wirklich nicht den geringsten V erdacht, dass Rita mit ihrem Mann Karl auch etwas anderes optimierte als Rollsplitt- und Kies-Logistik.
Rita beobachtete, wie Karin über die kleine T reppe hinaufschwebte auf das Podest, wo Karl Zwerger schon stand und den W eissachtaler Buben ein unmissverständliches Zeichen gab, ihre Instrumente abzusetzen. Karin bemerkte natürlich den heimlichen Blick nicht, den Rita sich von Karl Zwerger einfing. Karl griff sich ein Mikrofon und sagte schnell ein paar W orte, die Rita nicht genau verstand, aber als deren Folge die fünf Männer auf ihre Planierraupen kletterten und die Maschinen anließen. Die Raupenfahrer spielten mit den Gaspedalen und ließen die Motoren aufheulen, wie man das von Formel-I-Rennen aus dem Fernsehen kannte. A llein Ewald Fricker saß wie der kleine Bruder vom großen Buddha im Fahrersitz seiner Fiat -A llis und horchte auf den Klang seiner Maschine, die brav im Leerlauf vor sich hin tuckerte. Sein A kkordeon war wieder im Kasten verstaut, den er auf die Motorhaube geschnallt hatte. Ewald Fricker schien ganz im Hier und Jetzt zu ruhen, und irgendwie wurde Rita aus diesem Mitarbeiter, den sie ja nun auch schon ein halbes Jahr flüchtig kannte, nicht schlau.
Überhaupt waren Bierfeste nicht Ritas Ding. Sie sah, dass sich die Festgäste entlang der A bsperrungsbänder aufstellten, und musste ein Kichern unterdrücken ob des Brimboriums, das da vor ihren A ugen seinen Lauf nahm. Später würde sie sich vielleicht auch noch ein oder zwei Gläser Bier genehmigen und sich dann zuhause bei Kerzenlicht vielleicht eine CD anhören, aber bestimmt keine Blasmusik. Sie würde nicht allzu spät gehen, ihr stand der Sinn nach einem kleinen häuslichen Chill-out vom A llgäuer Kiesgruben-Sommerfest mit Bratwurst und V olksmusik.
Rita sah noch einmal hinüber zum Podium. Karl Zwerger wirkte angespannt, aber seine Frau Karin schien alle Zeit der W elt zu haben. Sie winkte vom Podium aus den Festgästen zu, mit einer V erve, Ernsthaftigkeit und Hingabe, als sei Podiumwinkerin ein ausgestorbener Lehrberuf. Rita konnte natürlich nicht hören, was Karl Zwerger seiner Frau ins Ohr zischte:
»Wo kommst du denn jetzt her? W arst du wieder beim Shoppen in Kempten?«
Karin Zwerger lächelte milde und blickte auf die Menschen in der Kiesgrube.
»Ach, Karl, das macht den Leuten jedes Jahr eine solche Freude …«
»Schön, wenn’s ihnen Freude macht … kostet ja auch genug.«
»Wenn du nur rummeckern kannst. V ielleicht freust du dich auch ein bisschen.«
Karl Zwerger grummelte etwas vor sich hin, holte aus seinem A ktenkoffer eine kleine Signalpistole und eine schwarz-weißkarierte Flagge. Er gab Karin die Pistole und die Flagge und griff sich nochmals das Mikrofon. Schlagartig schien seine A nspannung von ihm abzufallen, und er sprach mit dem T on des professionellen A
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