Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
vermutet. Ich hatte keinen Zugang in meiner Einfriedigung freigelassen, sondern gelangte in dieselbe mittels zweier Leitern. Von diesen reichte die eine, die ich gegen eine niedrige Stelle des Felsens gelehnt hatte, bis an einen Vorsprung, auf dem Platz genug war, um eine zweite Leiter darauf anzubringen, so daß, wenn die beiden Leitern eingezogen waren, kein Mensch ohne die Gefahr einer Verletzung über den Wall gelangen konnte. Überdies hätte er dann auch erst noch die innere Umzäunung meiner Behausung zu passieren gehabt.
So hatte ich denn alle Vorkehrungen zu meiner Sicherheit, die menschliche Vorsicht ausdenken konnte, getroffen. Die Folge wird zeigen, daß sie nicht ganz unnütz gewesen waren, obgleich ich damals zu jenen Maßregeln lediglich durch die Vorspiegelungen meiner Furcht veranlaßt wurde.
Während der Beschäftigung mit diesen Arbeiten vernachlässigte ich meine anderen Angelegenheiten auch nicht ganz. Besonders lag meine kleine Ziegenherde mir sehr am Herzen. Die Tiere boten mir auf alle Fälle ein sehr schätzbares Hülfsmittel und lieferten mir schon jetzt ausreichenden Lebensunterhalt. Auch ersparten sie mir den Aufwand von Pulver und Blei, sowie die Anstrengung, die ich bei der Jagd auf die wilden Ziegen gehabt hatte. Ich wollte mir daher um jeden Preis diesen Vorteil wahren, um nicht genötigt zu sein, noch einmal die Einzäunung aufs Neue zu beginnen.
Nach langer Überlegung sah ich für diese Sicherung nur zwei Möglichkeiten. Die eine bestand darin, daß ich an einer passenden Stelle eine unterirdische Höhle grub, um die Ziegen des Nachts da hineintreiben zu können; die zweite, daß ich einige Stückchen Land, weit auseinander und möglichst versteckt gelegen, mit Zäunen umgab und innerhalb jedes derselben etwa ein halbes Dutzend junger Ziegen hielt. Auf diese Weise konnte ich, wenn die Hauptherde von irgend einem Unfall betroffen wurde, ohne viel Mühe und Zeitverlust mir wieder eine andere heranziehen. Der letztere Plan erschien mir der zweckmäßigste, wenngleich seine Ausführung viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen mußte.
Demgemäß suchte ich sorgfältig nach den verborgensten Plätzen auf der Insel und machte auch glücklich einen ausfindig, der so heimlich gelegen war, wie ich es nur wünschen konnte. Es war ein kleiner, feuchter Rasenfleck mitten im dichtesten Walde, da, wo ich mich einmal, wie früher erzählt ist, auf dem Rückweg von der Ostseite der Insel verirrt hatte. Hier fand ich einen freien Platz, etwa drei Morgen groß und dergestalt von Bäumen umgeben, daß dieser fast schon einen natürlichen Wildzaun bildete. Wenigstens erforderte die Anlegung des künstlichen dort bei weitem weniger Arbeit als an den Stellen, wo ich früher die Umfriedigungen angelegt hatte.
Ich machte mich unverzüglich an die Arbeit und hatte schon vor Ablauf eines Monats einen Zaun fertig gebracht, in welchem eine Herde oder ein Rudel meiner Ziegen, die übrigens jetzt lange nicht mehr so wild waren als im Anfang, ganz sicher untergebracht werden konnte. Dahin versetzte ich nun zehn junge Ziegen und zwei Böcke und fuhr dann fort, den Zaun zu vervollkommnen, bis er ebenso fest war wie die anderen. Doch nahm ich mir dabei die Zeit, und es dauerte daher lange, bis die Arbeit beendet war.
All diese Mühe wurde veranlaßt durch die Furcht, die mir die Spur eines einzigen menschlichen Fußtrittes eingeflößt hatte. Zwar hatte ich bis hierher noch kein Menschenkind außer mir auf der Insel wahrgenommen, aber dennoch befand ich mich seit zwei Jahren in einer solchen Aufregung, daß mein Leben sich bei weitem unbehaglicher als früher gestaltet hatte. Das wird Jedermann begreiflich finden, der jemals Furcht vor feindseligen Menschen empfunden hat.
13. Die Grotte
L eider muß ich bekennen, daß die Unruhe meines Gemütes auch nicht ohne Einfluß auf mein Leben im Glauben blieb. Denn die Angst und das Entsetzen bei dem Gedanken, den Wilden und Menschenfressern in die Hände zu fallen, drückte meinen Geist so nieder, daß ich selten in der Stimmung war, mich an Gott zu wenden. Wenigstens tat ich es nicht mehr mit der andächtigen Sammlung und Ergebung der Seele wie sonst. Ich betete nur in großer Angst und Herzensunruhe, wie in beständiger Gefahr und in der fortwährenden Erwartung, im Laufe der Nacht ermordet zu werden und den Morgen nicht zu erleben. Aus Erfahrung kann ich bezeugen, daß Friede, Dankbarkeit, Liebe und Freundlichkeit viel mehr zum Gebet stimmen als Schrecken und Angst.
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