Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
Grübeleien, Ängsten und Betrachtungen fiel mir eines Tages ein, daß der Anlaß meiner Furcht möglicher Weise nichts weiter als eine meiner Einbildungen sein könnte. Die Spuren rührten ja vielleicht von meinen eigenen Füßen her; ich hatte sie vielleicht hervorgebracht, als ich aus meinem Boote ans Land gestiegen war. Dieser Gedanke trug auch ein wenig dazu bei, mich aufzuheitern, und ich fing an, mich selbst zu überreden, daß das Ganze nur eine Täuschung gewesen sei und kein anderer als mein eigener Fuß die Insel betreten habe. Warum sollte ich nicht auf jenem Wege von dem Boote hergekommen sein, da ich doch auf demselben nach dem Boote hingegangen war? Konnte ich doch keineswegs versichern, wohin ich getreten habe und wohin nicht. Am Ende, wenn es sich herausstellte, daß es wirklich mein eigner Fußtritt gewesen war, hatte ich die Rolle jener Narren gespielt, die Gespenster und Geistergeschichten erfinden und sich dann selbst am meisten davor entsetzen.
Erst jetzt fing ich an, wieder Mut zu fassen und mich hinaus zu wagen. Denn seit drei Tagen und Nächten hatte ich meine Festung keinen Augenblick verlassen, und schon begann ich Mangel zu leiden, da ich zu Hause wenig mehr als einige Gerstenkuchen und Wasser hatte. Ich wußte auch, daß es nötig sei, meine Ziegen zu melken, welches Geschäft sonst gewöhnlich meine Abendunterhaltung bildete. Die armen Tiere empfanden die Vernachlässigung auch schon schmerzlich, und einigen war sie sogar so nachteilig gewesen, daß ihre Milch fast versiegt war. So waffnete ich mich denn mit dem Glauben, jene Fußspuren rührten wirklich nur von einem meiner eigenen Füße her, und ich sei, wie man zu sagen pflegt, vor meinem eigenen Schatten erschrocken. Bei meinem ersten Ausgang begab ich mich zunächst nach meinem Landsitz, um die Herde zu melken. Wer damals gesehen hätte, wie furchtsam ich vorwärts schritt, wie oft ich mich umsah, wie ich beständig auf dem Sprunge war, meinen Korb von mir zu werfen und davon zu laufen, der würde gedacht haben, ich sei von einem bösen Gewissen geplagt oder durch etwas Ungeheures erschreckt worden; und das Letzte war ja auch wirklich der Fall.
Nachdem ich jedoch zwei oder drei Tage denselben Weg gemacht hatte, ohne irgend etwas Außergewöhnliches zu sehen, wurde ich ein Bischen kühner und die Überzeugung befestigte sich in mir, die Einbildung sei in der Tat die einzige Ursache meines Entsetzens gewesen. Völlig sicher konnte ich trotzdem mich nicht eher fühlen, als bis ich aufs Neue an jener Stelle der Küste gewesen war, den Fußtritt noch einmal angesehen und ihn mit meinem eigenen verglichen hatte. Dort angekommen aber überzeugte ich mich erstens, daß ich unmöglich beim Anlegen meines Bootes auch nur in die Nähe des Platzes gekommen sein konnte. Sodann ergab sich, daß mein Fuß, als ich ihn gegen die Spur abmaß, bei weitem nicht so groß war. Diese beiden Beobachtungen erfüllten mich aufs Neue mit den schrecklichsten Vorstellungen und machten mich wieder so furchtsam, daß ich zitterte wie ein Fieberkranker. Ich trat den Rückweg in dem festen Glauben an, ein Mensch oder mehre seien an jenem Platz gelandet, oder die Insel sei bewohnt, und ich könne unversehens überfallen werden. Wie ich mich davor schützen sollte, sah ich nicht ab.
Was für lächerliche Vorsätze faßt man doch unter dem Eindruck der Furcht! Diese Empfindung raubt dem Menschen alle Verteidigungsmittel, die ihm die Vernunft zu seiner Rettung bieten würde. Das Erste, was ich vornehmen wollte, war, meine Zäune niederzureißen und alle mein zahmes Vieh in die Wälder zu jagen, in der Besorgnis, der Feind möchte es finden und dann vielleicht in der Hoffnung auf gleiche oder ähnliche Beute öfter wiederkommen. Aus demselben Grunde gedachte ich meine beiden Kornfelder umzugraben und nicht einen Halm darauf zu lassen. Auch meine Hütte und mein Zelt beschloß ich zu zerstören, damit man durchaus keine Spur des Bewohntseins der Insel fände und Niemand versucht würde, den Bewohnern selbst nachzuforschen.
Mit solchen Gedanken beschäftigte ich mich während der ersten Nacht nach meiner Rückkehr, als die Befürchtungen, die mich so überwältigt hatten, mir noch frisch in der Seele lebten und meinen Kopf mit wirren Bildern füllten. So ist die Furcht vor einer Gefahr oft tausendmal schrecklicher als die gegenwärtige Gefahr selbst. Wir tragen viel schwerer an der Last der Angst als an dem Übel, das uns ängstigt. Das Schlimmste aber bei der Sache
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