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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wird.
    Eine Binde über den Augen zu tragen, einen Knebel im Munde, einen Strick um die Handgelenke und einen solchen um die Knöchel zu haben, d. h. also jeder Möglichkeit, zu sehen, zu sprechen und sich zu bewegen, beraubt zu sein, das war für den Onkel Prudent keine Lage, in der er sich hätte wohl fühlen können, und ebenso wenig für Phil Evans und den Diener Frycollin Obendrein nicht einmal zu wissen, wer die Urheber dieser Entführung waren, nicht zu wissen, wo man sich befand und welches Loos man zu erwarten habe – das mußte gewiß auch das allergeduldigste Lamm in Wuth bringen, und bekanntlich gehörten die Mitglieder des Weldon-Instituts, was ihre Geduld betraf, nicht im Geringsten zur Familie der Lämmer. Berücksichtigt man die natürliche Heftigkeit seines Charakters, so kann man sich leicht vorstellen, in welcher Gemüthsverfassung Onkel Prudent sich jetzt befinden mochte.
    Jedenfalls mußten Phil Evans und er langsam einsehen, daß es für sie Schwierigkeiten haben werde, am nächsten Abend ihre Plätze im Bureau des Clubs einzunehmen.
    Frycollin war es mit verbundenen Augen und dem geschlossenen Munde überhaupt unmöglich, irgend etwas zu denken; er war schon mehr todt, als lebendig.
    Während einer Stunde trat in der Lage der Gefangenen keine Aenderung ein Kein Mensch ließ sich erblicken, sie zu besuchen oder ihnen wenigstens die Freiheit der Bewegung und der Sprache wieder zu geben, nach der sie doch so sehr verlangten. Jetzt sahen sie sich auf erstickte Seufzer, auf ein dumpfes »Ach!« angewiesen, das sich kaum durch ihre Knebel preßte, und beschränkt auf schwache Bewegungen, wie sie etwa ein seinem natürlichen Element entrissener absterbender Karpfen ausführt, und man begreift leicht, welchen stummen Zorn, welch’ verhaltene oder vielmehr eingeschnürte Wuth das in ihnen erzeugen mußte. Nach wiederholten vergeblichen Befreiungsversuchen verhielten sie sich eine Zeit lang ganz still. Da ihnen der Gesichtssinn augenblicklich abging, bemühten sie sich, vielleicht durch den Gehörsinn einige Aufklärung über diesen beunruhigenden Zustand der Dinge zu erlangen. Vergeblich aber strengten sie sich an, ein anderes Geräusch zu hören, als das ununterbrochene und unerklärliche »frrr«, das hier den ganzen Umkreis zu beherrschen schien.
    Inzwischen gelang es Phil Evans, der hier mit mehr Ruhe ans Werk ging, den Strick locker zu machen, der um sein Handgelenk lag. Dann löste sich allmählich der fesselnde Knoten, er schmiegte die Finger dicht aneinander, und endlich erlangten seine Hände wieder die gewohnte Bewegungsfreiheit.
    Durch kräftiges Reiben stellte er den in ihnen halb unterbrochenen Blutumlauf wieder her, und in der nächsten Minute schon hatte Phil Evans die Binde abgerissen, die ihm die Augen bedeckte, den Knebel aus seinem Munde gelöst und alle Stricke mit der seinen Klinge seines »Bowie-Messers« zerschnitten. Ein Amerikaner, der nicht stets sein Bowie-Messer in der Tasche hätte, wäre eben kein Amerikaner mehr.
    Wenn Phil Evans aber hieraus die Möglichkeit sich zu bewegen und zu sprechen wieder erlangte, so war das doch eben Alles. Seine Augen fanden keine Gelegenheit zu nützlicher Thätigkeit – wenigstens jetzt nicht, denn in der Zelle, die sie einschloß, herrschte vollständige Finsterniß. Ein ganz schwacher Lichtschein drang durch eine Schießscharte herein, die in sechs bis sieben Fuß Höhe in der Wand angebracht war.
    Es versteht sich von selbst, daß Phil Evans keinen Augenblick zögerte, auch seinen Rivalen zu befreien. Einige Züge mit dem Bowie-Messer genügten zur Durchschneidung der Stricke, welche dessen Füße und Hände fesselten. In heller Wuth riß sich Onkel Prudent, als er sich kaum auf den Füßen aufrichten konnte, die Binde herunter und den Knebel heraus und stammelte mit erstickter Stimme:
    »Ich danke Ihnen!
    – Nein!… Hier ist nichts zu danken, antwortete der Andere.
    – Phil Evans?
    – Onkel Prudent?
    – Hier gibt es keinen Vorsitzenden und keinen Schriftführer des Weldon-Instituts, ich denke, auch keine Gegner mehr.
    – Sie haben Recht, bestätigte Phil Evans. Hier sind wir nur zwei Männer, die sich zu rächen haben an einen Dritten, dessen Gewaltstreich die strengste Wiedervergeltung herausfordert.
    – Und dieser Dritte…
    – Ist jener Robur!…
    – Ja, jener Robur!«
    Hier fand sich also einmal ein Punkt, bezüglich dessen die beiden Ex-Concurrenten völlig übereinstimmten, ein Streit über diesen Gegenstand schien

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