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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Riedt
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Fässer kamen auf der Lade zum Vorschein.
    Ein langer Ballen Leinwand stürzte steif wie ein Balken von den Fässern, streifte das Seitenbrett, die Leinwand verhakte sich zwischen zwei Kupferkesseln, hing fest, wickelte sich ab. Tanzte vom Wagen, schnell wie eine Spindel am Rocken, spannte sich aus wie ein Tafeltuch, immer schneller drehte sich der Ballen, rollte über die Linsen, an Ertwins Füßen vorbei, zu den Bettlern hin.
    Die Leinwand war gesprenkelt von rotbraunen Flecken. Flecken, wie sie Ertwin im Hospital gesehen hatte, noch einmal schlug sie sich um, dann wechselte die Stofffarbe. Wurde grün und weiß, rostrot. Wurde zum Wams, zum Hemd. Ertwin sah einen nackten Fuß.
    »Heilige Mutter im Himmel.« Ein Bauer stieg von dem Ochsenkarren und bekreuzigte sich. Erst als seine Finger auf seine Brust schlugen, spürte Ertwin, dass er es ihm gleichtat. Im Straßendreck lag eine weiße Leinwand mit Blutzeichen, Ertwin schien es fast wie ein Gesicht.
    »Wie ein Schweißtuch eines Märtyrers«, entfuhr es einer gaffenden Frau hinter ihm.
    Dem Mann dort im Straßendreck hatte man die Arme und Beine an den Leib geschnürt, er lag auf dem Bauch, ein letzter Zipfel Tuch bedeckte seinen Kopf. Volk lief herbei.
    »Decke ihn auf, vielleicht lebt er noch«, sagte jemand mit rheinischem Tonfall.
    Der breite Kutscher trat vor, Ertwin begriff, dass der Kaufmann gesprochen hatte, der hinter dem Bauern stand. Wortlos reichte Ertwin ihm die Pelzmütze.
    Der Kaufmann nahm sie an sich, sein Blick hing am grobschlächtigen Kutscher. »Worauf wartest du?«
    Die behaarte Hand, die eben noch das Pferd gebändigt hatte, schwebte zitternd über dem Tuchzipfel, griff zu einem Stück des Randes, der noch ohne Flecken und weiß war. Dann zog der Kutscher es vom Kopf des Mannes weg.
    »Ein Brett, quer über dem Nacken«, entfuhr es dem Kaufmann.
    »Nein, seht doch hin, es ist eine Flachshechel.« Der Bauer rieb sich die Stirn.
    Ertwin starrte auf das Brett, die Rückseite der Hechel. Zahllose, lange Nägel waren ins Genick getrieben, ins zerrissene Fleisch, klebrig von schmierigem Blut. Ertwin würgte es, er hielt sich die Hand an die Kehle.
    »Das ist Hexenwerk, das Blut gerinnt nicht«, schrie eine Frau.
    Der Bauer wich zurück, stieß Ertwin dabei in die Seite, murmelte ein Gebet und drückte sich durch die Leute davon.
    »Blut gerinnt anders ohne Luft«, schrie eine dunklere Stimme.
    Das tat es auch bei den Hasen, die Vater bei den Jägern kaufte, wenn sie die aus den Jagdtaschen holten.
    »Macht Platz für den Stadtschergen.«
    Ertwin wurde von der Menge abgedrängt.
    »Die sollen alles vom Kaufmann auswickeln. Alles. Der ist nicht von hier«, rief einer.
    »Von Köln«, rief ein anderer, »man hört’s an seinem Mundwerk.«
    »In Köln hausen die mächtigsten Zauberer.«
    Ertwin schüttelte die keifende Frau ab, die sich an ihn gehängt hatte. Ein Bettler schob sich zwischen sie. Der Stadtscherge in den engen weiß-roten Beinlingen nahm seinen langen Amtsspieß, setzte die Spitze unter der Hüfte des toten Mannes an und hebelte das Eisenstück unter den Leib. Es sah aus, als ob der Leib zuckte, Ertwin musste schlucken. Dann drehte der Scherge den Toten herum.
    »Oh Gott, das Böse ist in der Stadt.«
    Das schmale Gesicht mit den geraden Brauen, die sich rechts und links der Nase zu einer kleinen Spitze hochbogen, kannten alle. Jeder in der Stadt hatte dieses Kinn mit der Grube, als hätte ein Kind seinen Daumen hineingedrückt, beim Reden hüpfen sehen.
    Es war der Ratsherr Tomas Reker.
    Ein Finger berührte Ertwin am Ellenbogen.
    Der Kölner Kaufmann hatte sich neben seinen Kutscher gedrängt und winkte Ertwin zu seinem Ohr. »Wer ist das?«, flüsterte er. Seine Augen wanderten dabei unruhig über die Bettler, die sich an den Linsen- und Mehlsäcken auf der Straße vorbeidrückten.
    »Der Leggemeister, der unser Osnabrücker Leinen prüft.«
    Der Kaufmann pfiff durch die Zähne.
    »Die Hanseleute haben mich nicht umsonst vor Osnabrück gewarnt … Kein Rauch ohne Feuer.«

2.
    »Stapelzwang, Stapelzwang. Fällt der wendischen Hanse in Lübeck nichts anderes mehr ein, als uns den Tuchhandel zu verderben?«
    Der Bürgermeister hieb so fest auf den Ratstisch, dass das Zinngeschirr vor ihm klirrte. Simon Leent verspürte nicht die geringste Lust, auf den Wutanfall einzugehen, wie viel Zeit sollte er denn noch unnütz vertun. Zu Hause in seinem Laden richtete seine Frau mit den Knechten die Fässer für den Küfer, den Preis dafür

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