Engelskuss und Weihnachtstraum - eine Liebesgeschichte in 24 Kapiteln
I ch stecke mitten im Zickenzoff.
Und das, obwohl ich nur so mittel bin, also mittelgroà und mittelhübsch. Auch meine Augenfarbe ist nur so mittel â weder direkt braun noch richtig grün. Meine Haare sind auch nur mittelblond, doch seitdem ich mir ein paar Strähnchen gefärbt habe, sehen sie besser als nur mittelhübsch aus. Sie sind nämlich so lang, dass sie mir bis weit den Rücken hinab reichen. Darauf bin ich echt stolz.
Leider bin ich nicht besonders selbstbewusst. Zum Beispiel werde ich voll verlegen, wenn mich ein Junge ansieht. Den Blickkontakt halte ich nicht aus, ich finde das peinlich und verkrümel mich. »Wie willst du einen Freund finden, wenn du zu feige zum Hallo-Sagen bist?«, schimpfte meine allerbeste Freundin immer, als sie noch hier wohnte; vor kurzem ist sie leider nach Hamburg gezogen, weshalb sie nicht mitbekommen hat, was sich in der Schule und in meinem Leben geändert hat. Doch davon später.
Meine Leistungen und meine Noten sind ebenfalls nur mittel. Macht mir aber nix aus, solange ich in Musik eine Eins hab. Musik ist mein Lieblingsfach. Meiner Familie ist das völlig unverständlich; meine Eltern haben nämlich mit Musik nichts am Hut, und meine kleine Schwester hört sowieso nur ihre Prinzessinnen-Storys. Weil mein Opa, der im Liederkranz »Eintracht« singt, gecheckt hat, dass ich schon als Baby dauernd vor mich hin gesummt hab, nervte er meine Eltern, ich müsse in die Musikschule.
Zuerst habe ich Blockflöte gespielt, dann bekam ich Klavierunterricht. Das war vor vier Jahren. Jetzt bin ich dreizehn, spiele Klavier und singe in unserem Schulchor.
Und genau deshalb, weil ich singen kann, stecke ich gerade mitten im Zickenzoff.
Das kam so:
Wir haben einen genialen Musiklehrer. Chris Löwenfeld heiÃt er. Weil er einfach göttlich aussieht, singen die meisten Mädchen nur seinetwegen im Chor. Oder pusten im Orchester in die Blockflöten. Ende September trommelte Chris alle vom Chor und Orchester im Musiksaal zusammen, schwenkte ein Bündel Notenblätter, lächelte verheiÃungsvoll und rückte mit seiner neuesten Idee heraus. »Leute«, sagte er, »wir nehmen uns was GroÃes vor. Ein Musical.«
»Voll der Wahnsinn! Mama Mia?«
»Nein.«
»Ich war noch niemals in New York?«
»Nein.«
»Cats?«
»Wieder nein.«
»Was denn dann?« Von der Idee selbst waren wir echt begeistert, aber weil Chris Löwenfeld gestand, er habe die Musik geschrieben, zogen wir lange Gesichter. Obwohl er natürlich fast so gut wie Beethoven oder Mozart ist, schwante uns nichts Gutes.
Und dann kamâs.
»Ich habe ein Weihnachtsmusical komponiert«, sagte er bescheiden.
»Und das sollen wir singen?«, brüllte Mick. »Das ist jetzt nicht wahr, Herr Löwenfeld. Wenn Sie an Ihr Kinderlein kommet denken, trete ich aus dem Chor aus.«
»Ich auch! Ich auch!«, schrien die meisten von uns.
»Damit habe ich gerechnet«, sagte Löwenfeld cool. »Aber das möchte ich natürlich nicht. Wie wärâs, wenn ihr euch erst mal anhört, wie ichâs mir vorstelle?« Er setzte sich ans Klavier, und was soll ich sagen? Er hatte die alten Weihnachtslieder komplett verändert; sie rockten so, dass wir direkt mittanzten. Nur die Geschichte fanden wir eben out of date.
Jedenfalls wir, die sie kannten. Aber weil natürlich auch ausländische Mitbürger in unsere Schule gehen, von denen man nicht erwarten darf, dass ihnen die Story schon seit der Kindergartenzeit erzählt wurde, verlangte Löwenfeld, dass Emil sie erst mal erzählt. Emil trägt eine Harry-Potter-Brille, hat dauerverstrubbelte knallrote Haare, ist unser Klassenclown und echt cool, obwohl er der Sohn eines Pfarrers ist, und natürlich kennt er die Geschichte familienbedingt aus dem ff. Obendrein hat er einen Notendurchschnitt von âner glatten Eins. Zuverlässig und jedes Jahr.
»Die Weihnachtsgeschichte soll ich erzählen, Herr Löwenfeld? Also die geht so:
Ein Kaiser namens Augustus wollte unbedingt die Zahl seiner Untertanen wissen, weshalb er â damals gabâs ja noch kein Einwohnermeldeamt und von einer weltweit vernetzten Datenbank konnte man noch nicht mal träumen â allen Leuten befahl, sie sollen verdammt noch mal dahin gehen, wo sie geboren wurden. Damals, also vor rund zweitausend Jahren, konnte man sich natürlich noch nicht einfach ins
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