Eheroman (German Edition)
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Erster Teil
Die kleine weiße Flamme zittert, flackert, vom scharfen Wind auf den Boden gedrückt, und verlischt dunkel qualmend.
«Mann, Mann, Mann», kichert der alte Biese in seinem Rollstuhl und schüttelt seinen eingefallenen Schädel mit der grün-weißen Werder-Bremen-Mütze.
«Halt die Fresse», antwortet der Schweinebauer und schraubt eine Flasche auf.
«Muss dat sein?»
«Du sollst die Fresse halten!»
Der Schweinebauer tränkt das Stroh mit dem Inhalt der Flasche, und sein Sohn Jörgi hält ein Feuerzeug dran, es flammt sofort hoch, Jörgi weicht zurück, alle weichen zurück, die Flamme greift auf die kleinen Zweige über, das Holz zischt und knattert, Rauch wächst schwarzfädrig in den dunklen Himmel, die nebligen Nächte haben das Holz feucht gemacht, aber wütend knallend brennt es nun an. Zögernd wird geklatscht. «Feuer», ruft mit hoher Stimme der alte Biese, der in eine mit Pferden bedruckte Decke gewickelt ist. Er hält die zitternden Hände über den Kopf, sieht zu Jörgi hoch, kichert und lässt die Hände langsam wieder auf seinen Schoß sinken.
Jörgi ist mit Ava zur Schule gegangen. Er saß kurzsichtig in den vorderen Bänken, das bebrillte Gesicht nach vorne gereckt, immer unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschend, immer schnell am Weinen – Heul doch, heul doch, Jörgi! –, später weinte er dann weniger, er bekam Kontaktlinsen, eine kleine Honda und den passenden Führerschein. Die Schule wurde ihm egal, denn er wusste plötzlich, dass sie vorbeigehen und er Landwirt werden würde. Er redete viel vom Ferkelmarkt, von Futterpreisen und von Maschinen, die er später anschaffen wollte, und er wurde ruhiger, auf seiner vorderen Bank. Seine Oberarme wurden braun und hart, und nach der zehnten Klasse, die sich für ihn quälend hinzog, verließ er froh in die Zukunft blickend die Schule. Auf dem Schweinebauernhof gab es dann eine Party mit Bier vom Fass und scharf eingelegtem Grillfleisch aus einer Plastikbabywanne. Ava war auch dort gewesen. Sie hatte sich die Ferkel in den Ställen angesehen, kleine blasse Schnitzel, aneinandergequetscht und nummeriert, alles dunkel und schmatzend, wie Produktion, wie ewige, ewige Produktion. In den grauen Gängen Beton und Urin, Jörgi munter redend, das Bier in der Hand, mit dem Fuß nach dem Hintern eines Schweines tretend, das im Weg war, als er eine der Türen öffnen wollte, die metallisch die Ställchen verschlossen. «Da, das ist die Kannibalensau, die hat die anderen immer angefressen. Die hat ihre eigenen Ferkel angefressen. Bekloppte hast du immer, wie bei Menschen. Aber schmecken alle gleich.»
Hinter den Ställen und den kleinen quadratischen Siedlungshäusern an der Hauptstraße liegt das Ackerland der Familie, ein schmales, langgestrecktes Rübenfeld, daneben Kartoffeln, dann Mais. Im Mais hinter den Ställen lagen manchmal welche und knutschten oder bumsten sogar. Das erzählte Jörgi mal, wie sein Vater im Mais die bumsenden Verheirateten aufgescheucht hatte. Die nicht miteinander verheiratet waren, sondern jeweils mit jemand anderem. «Gibt doch Hotels. Müsst doch nicht bei mir im Mais. Schämt euch doch! Geile Böcke! Und zertrampelt mir alles.»
Vor einigen Tagen hat Jörgi mit dem Trecker die Scheuneneinfahrt auf dem Hof seines Vaters angefahren, und es ist ein langer schräger Riss in der Wand entstanden. Sabine erzählte, wie es war, sie hat, während es geschah, beim Jörgi im Trecker auf dem hüpfenden Schoß gesessen. Der Schweinebauer kam angerannt, stieg hoch auf den Trecker, riss den Jörgi samt der Sabine herunter, als würde das noch was bringen, den Jörgi vom Trecker zu reißen. Sabine rutschte und fiel in den schillernd schwarzen Modder der Treckerspuren – die neue Wrangler –, Jörgis Arm hing noch in der Hand seines Vaters, und sein Schultergelenk verdrehte sich knirschend. Er schrie, der Vater ließ ihn los, aber nur, um auf den quietschenden Jörgi einzuschlagen. Er drosch auf ihn rauf, als wäre er ein Schwein, als wäre er eine alte Sau, die nicht in den Stall rennt, die nicht schnell genug in den Schweinetransporter rennt, der sie zum Schlachthof bringt. Sabine rannte zur Telefonzelle an der Straße und rief die Polizei an: «Sein Vater schlägt auf den Jörg Petzow ein, der schlägt ihn tot, oder er schlägt ihm Organe kaputt», und heulte wild am Telefon. Die Polizei fragte nach, sie wollten Genaueres wissen, ob er ihn jetzt immer noch schlage, ob der Jörgi bewusstlos
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