Rolf Torring 006 - Kapitaen Larrins Entlarvung
warf der Schoner Anker. Ich glaubte nun, daß wir endlich unser Schicksal erfahren würden, sah mich jedoch getäuscht. Es wurde Nacht, und noch immer kümmerte sich kein Mensch um uns. Ich wurde schließlich müde und war gerade im Einschlafen, als endlich die Riegel vor unserer Kajüte fort geschoben wurden und der Bärtige bei uns eintrat. Er trug in der Hand eine alte Laterne, die er auf den Tisch stellte. Dann gab er vier ihm folgenden Männern einen Wink. Abermals wurden wir hochgehoben und wieder an Deck getragen. Von hier schaffte man uns hinunter in ein kleines Beiboot. Ich hatte bisher nur feststellen können, daß der Schoner irgendwo an einer Küste ankerte. Ich sah Palmen und Buschwerk sowie einige Felserhebungen.
Ehe wir im kleinen Boot fort gerudert wurden, umhüllte man unsere Köpfe mit alten Säcken, so daß wir nun überhaupt nichts mehr sehen konnten. Warum das getan wurde, blieb mir völlig ein Rätsel. Wahrscheinlich sollten wir nicht wissen, welchen Weg unsere Träger nahmen. Ja, wir wurden getragen, denn kaum hatte das kleine Boot den Strand erreicht, als wir aufgehoben wurden. Kräftige Männer trugen uns im Eilschritt fort. Es ging immer im Trab. Die Leute schienen es sehr eilig zu haben, denn nicht eine einzige Pause wurde gemacht. Zum Glück war der Weg nicht weit. Immerhin dauerte es über eine halbe Stunde, ehe wir niedergelegt wurden. Die Tücher wurden von unseren Köpfen entfernt. Undurchdringliche Dunkelheit umgab uns. Kräftige Arme rissen uns hoch und ließen uns in Sessel fallen. Dann wurden die Stricke an unseren Füßen entfernt und gleich darauf auch unsere Handfesseln. Rolf und ich waren plötzlich frei. Wir hörten, daß sich unsere Träger schnell entfernten. Ich wollte aufspringen, doch mein Freund warnte mich. „Vorsicht, lieber Hans, bleib ruhig sitzen. Nicht umsonst wurden unsere Fesseln gelöst. Ich vermute, daß wir im Dunkeln in eine Falle geraten sollen, um uns vielleicht selbst zu richten. Verhalte dich vorläufig ganz ruhig! Wir wollen abwarten, was geschieht."
Rolf hatte sich der deutschen Sprache bedient, die wohl hier niemand verstand. Auch hatte er sehr leise gesprochen. Ich befolgte seinen Rat und blieb ruhig sitzen, streckte aber doch meinen rechten Fuß vor, um den Boden abzutasten. Vielleicht, daß wir beim Aufspringen in eine Grube stürzen sollten, dachte ich. Doch der Boden war fest, soweit ich dies feststellen konnte.
Minuten vergingen, eine Viertelstunde und dann noch eine. Plötzlich vernahm ich ein leises Geräusch. Ich glaubte zuerst, daß mein Freund dies verursacht habe, und wollte schon leise fragen. Doch da flammte ein Licht auf. Gleich darauf brannte eine alte Petroleumlampe, die von der Decke des Zimmers herunterhing. Sie war von einem Malaien angezündet worden, der sich schnell wieder entfernte, ohne sich um uns zu kümmern. Ich blickte schnell zu Rolf hin, der dicht neben mir saß. Er hielt die Augen halb geschlossen, was er stets tat, wenn er angestrengt nachdachte. Ich wollte ihn erneut fragen, doch er raunte mir zu:
„Wir sind Gefangene des Fürsten Toeba, wenn der Mann wirklich ein Fürst ist, was ich jedoch bezweifle. Der Malaie, der soeben den Raum verließ, war einer seiner Diener. Es war derselbe, der ihm auf der Insel folgte." „Aber das ist doch nicht der Bungalow, den ich besichtigte, Rolf", warf ich ein. „Die Einrichtung hier ist eine ganz andere. Hier scheint ein Europäer zu wohnen." Das Zimmer war ganz gut eingerichtet. Ich erblickte einen Schreibtisch, ein Ruhelager, einen Rauchtisch und eine Bibliothek. In der Mitte des Zimmers stand ein runder Tisch und seitwärts von ihm die beiden Sessel, in denen wir saßen. Teppiche bedeckten die Wände und den Fußboden.
Der Raum wies zwei Türen auf, die sich gegenüberlagen. Durch die eine war soeben der Malaie verschwunden. Jetzt öffnete sich die andere, und herein trat Toeba, der uns mit höhnischem Lächeln begrüßte. Er ging wieder in seidene Gewänder gekleidet und trug auch seinen kostbaren Kris, den ich in dem anderen Bungalow im Zimmer auf dem Tisch hatte liegen sehen.
„Guten Tag, meine Herren", begrüßte er uns. „Sie haben nicht erwartet, daß wir uns so schnell wiedersehen würden, nicht wahr?" fragte er.
Da wir nicht eine einzige Waffe bei uns hatten, blieb uns nichts anderes übrig, als uns augenblicklich in unser Schicksal zu ergeben. Uns waren wenigstens die Fesseln abgenommen worden, und das deutete darauf hin, daß Toeba uns nicht ans Leben wollte.
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