Ronja Räubertochter
wieviel Gelb und Rot es in all dem Grün bereits gab, und bald flammte das ganze Flußufer in Rot und Gold. Sie saßen am Feuer und sahen, wie schön es war, sprachen aber nicht darüber.
Über den Fluß zog mehr Nebel als vorher. Und eines Abends, als sie zur Quelle gingen, um Wasser zu holen, war er bis in den Wald hinaufgestiegen.
Unversehens waren sie mitten im dichtesten Nebel. Birk stellte den Wasserkübel hin und packte Ronja heftig am Arm.
»Was ist?« fragte Ronja. »Hast du Angst vor dem Nebel? Glaubst du, wir finden nicht zurück?«
Birk sagte nicht was ihn ängstigte. Aber er lauschte. Und plötzlich kam weit hinten aus dem Wald dieser klagende Gesang, den er so gut wiedererkannte.
Auch Ronja lauschte.
»Hörst du? Das sind die Unterirdischen, sie singen! Endlich hör ich es auch einmal!« »Hast du sie noch nie gehört?« fragte Birk. »Nein, noch nie«, antwortete Ronja. »Sie wollen uns zu sich unter die Erde locken, weißt du das?«
»Das weiß ich«, sagte Birk. »Und würdest du ihnen folgen?« Ronja lachte.
»Ich bin doch nicht verrückt! Aber Glatzen-Per sagt...« Hier verstummte sie.
»Was sagt Glatzen-Per?« fragte Birk. »Ach, nichts«, sagte Ronja.
Aber während sie dort standen und darauf warteten, daß sich der Nebel lichtete, damit sie heimgehen konnten, dachte sie an das, was Glatzen-Per gesagt hatte.
»Wenn die Unterirdischen in den Wald raufkommen und singen, dann weiß man, daß der Herbst da ist. Und dann kommt auch bald der Winter, hoho, jaja!«
16.
GlATZEN-PER HATTE RECHT.WENN DIE UNTERIRDISCHEN
mit ihren Klageliedern in den Wald aufstiegen, dann war es Herbst. Auch wenn Birk und Ronja es nicht wahrhaben wollten. Langsam war der Sommer gestorben, und die Herbstregen setzten mit so quälender Hartnäckigkeit ein, daß sogar Ronja darunter litt, obwohl sie Regen sonst gern hatte.
Tagelang hintereinander hockten sie in der Grotte und hörten das ewige Plätschern draußen auf dem Felsen. Bei so einem Wetter konnte man nicht einmal das Feuer am Leben erhalten. Und sie froren so erbärmlich, daß sie schließlich in den Wald mußten, um sich warm zu laufen. Ein bißchen wärmer wurden sie dadurch schon, aber auch völlig durchnäßt. Wieder in der Höhle, zerrten sie sich die nassen Kleider vom Leib, wickelten sich in ihre Felle, saßen wieder dort und spähten nach einem Lichtblick am Himmel aus, und sei er noch so klein. Aber alles, was sie vor dem Höhleneingang sahen, war eine Wand aus Regen.
»Einen verregneten Sommer haben wir«, sagte Birk. »Aber es wird wohl besser werden.« Und endlich hörte der Regen auf. Statt dessen kam der Sturm, daß es über dem Wald nur so dröhnte. Er riß Kiefern un« Fichten samt den Wurzeln aus und zerrte das Laub von dem Birken. Verschwunden war der Goldglanz. Am Uferhang sah man nur noch kahle Bäume kläglich in dem rauhen Wind schwanken, der sie aus dem Erdboden zu reißen versuchte.
»Einen windigen Sommer haben wir«, sagte Birk. »Aber es wird wohl besser werden.« Es wurde nicht besser. Es wurde schlimmer. Die Kälte kam und mit jedem Tag wurde es kälter. Und jetzt ließen sich die Wintergedanken nicht länger verdrängen, jedenfalls konnte Ronja es nicht mehr. Nachts hatte sie Alpträume.
Einmal sah sie Birk im Schnee liegen, mit weißem Gesicht und Rauhreif im Haar. Sie erwachte mit einem Schrei. Es war schon Morgen, und Birk machte draußen Feuer. Sie stürzte zu ihm und sah erleichtert, daß sein Haar noch so rot war wie sonst, ohne Rauhreif. Aber die Wälder hinter dem Fluß waren jetzt zum erstenmal weiß von Frost.
»Einen frostigen Sommer haben wir«, sagte Birk mit einem Grinsen.
Ronja sah ihn mißmutig an. Wie konnte er nur so ruhig sein? Wie konnte er so leichtfertig reden? Begriff er denn nicht? Machte er sich denn gar nichts aus seinem armen Leben? Man durfte sich nicht fürchten im Mattiswald, das wußte sie, aber jetzt bekam sie Angst eine schreckliche Angst davor, was mit ihnen geschehen würde, wenn der Winter kam. »Meine Schwester ist nicht froh«, sagte Birk. »Jetzt ist es Zeit für sie, von hier fortzugehen und sich an einem andern Feuer zu wärmen als meinem.«
Da ging sie zurück in die Grotte und legte sich wieder auf ihr Lager. Ein anderes Feuer - sie hatte ja kein anderes, zu dem sie gehen konnte. Das Feuer zu Hause in der Steinhalle meinte er, und gewiß sehnte sie sich in dieser verflixten Eiseskälte danach. Oh, wie sehr sie sich danach sehnte, nur einmal wieder in diesem Leben warm zu
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