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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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gewesen.
    Vor dem Zimmer, in dem Bergmann mit Stern sprach, musste Albin warten. Er wusste gar nicht, was er Stern noch fragen sollte. Er konnte bloß die Fragen vom letzten Mal mit ihm persönlich durchkauen. »Darf ich Ihnen inzwischen etwas bringen?«, fragte der blasierte Angestellte.
    Albin schüttelte den Kopf. An Orten wie diesem fühlte er sich wie ein unrechtmäßiger Eindringling in die Welt der Unverdächtigen und Besitzenden. Sollte ihn jemand als illegales Element entlarven, wollte er sein Vergehen nicht durch das Essen ihres Brotes vergrößert haben.
    Zwanzig Minuten vor der Pressekonferenz kam Bergmann aus dem Zimmer. Albin hatte ihn seit dem Telefonat auf der Reichsbrücke weder gehört noch gesehen. Seinem ersten Impuls der Herzlichkeit folgte distanzierte Kühle. Er dachte an die Frau im grauen Kostüm, die ihn beschattet hatte. Offenbar war sie ausgetauscht worden. Er hatte sie nicht mehr gesehen.
    »Ihr Zeuge«, raunte Bergmann und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. »Danke.« Albin betrat das Zimmer.
    Dicke Gardinen hingen vor den Fenstern. In einer Ecke stand eine Engelsfigur aus weißem Marmor. An einem runden Tisch in der Mitte saß Stern.
    Albin hatte den Mann größer in Erinnerung. Er fragte sich, ob alle Menschen kleiner aussahen, wenn sie anderthalb Stunden von Chefinspektor Bergmann verhört worden waren. Vielleicht war Stern auch durch sein ungewolltes Sprechen geknickt. Wie eine Jungfrau, die sich für ihren Ehemann hatte aufheben wollen und sich dann doch der Wollust hingab.
    Albin nahm Stern gegenüber Platz. Er rückte das Glas zur Seite, aus dem Bergmann getrunken hatte. Er war froh, dass wenigstens der Stuhl nicht mehr warm von dem Polizisten war. »Das ist sicher ein großer Tag für Ihre künstlerische Karriere«, sagte er freundlich.
    Stern warf ihm unter halb gesenkten Lidern einen misstrauischen Blick zu. Entweder hatte er sich noch nicht an seine neue Redefreiheit gewöhnt, oder er wollte seine ersten Sätze nicht für Belanglosigkeiten vergeuden.
    »Nach zwei Wochen der intensiven Beschäftigung mit Ihrem ehemaligen Kollegen Ronald Markovics habe ich fast schon das Gefühl, ihn zu Lebzeiten gekannt zu haben«, sagte Albin. »Trotzdem klaffen noch Lücken in meinem Bild. Wollen Sie mir helfen, sie zu schließen?«
    Stern hob nach dieser blumigen Einleitung Albins den Kopf. Einen Moment lang fragte sich Albin, ob der Mann unter Drogen stand. Er wirkte abwesend und abgehoben.
    »Wissen Sie zum Beispiel etwas über Markovics’ Verhältnis zu Olga Dada?«, fragte Albin direkter. Stern öffnete den Mund zum Sprechen. Schon an der Bewegung seiner Lippen erkannte Albin, dass sein erstes Wort nicht ›Interdental‹ sein würde. Das erleichterte ihn. Er hatte schon befürchtet, dass Stern ein weiteres Jahr anhängen würde oder sogar ein Schweigegelübde abgelegt hatte.
    »Schweine …«, sagte Stern in diesem Moment. Seine Stimme klang blechern. Nach diesem einen Wort schwieg er wieder.
    Das war immerhin etwas. Andererseits: Was sollte es bedeuten? Schweine? Sprach er von bestimmten Personen? Menschen, die sich seiner Ansicht nach im Zusammenhang mit Markovics schlecht benommen hatten? Oder sprach er von richtigen Schweinen? Ging es schon wieder um das aufgeschlitzte Schwein auf der Luftmatratze?
    »Schweine brauchen soziale Kontakte, abwechslungsreiche Ernährung und viel Auslauf«, brach es da aus Stern heraus.
    Albin sah ihn entgeistert an.
    Stern setzte ein für seine Verhältnisse breites Grinsen auf, dann sackte sein Gesicht in die gewohnte Starre zurück.
    Also doch Drogen, dachte Albin.
    »Wir sprechen hier unter vier Augen«, sagte er laut. »Niemand wird je erfahren, worüber wir gesprochen haben oder dass wir überhaupt miteinander gesprochen haben. Vertrauen Sie mir.«
    »Schweine brauchen soziale Kontakte, abwechslungsreiche Ernährung und viel Auslauf«, wiederholte Stern. Diesmal kam der Satz flüssiger und lockerer über seine Lippen.
    Gleich darauf wurde an die Tür geklopft. Der Hotel diener mit der automatischen Nase steckte seinen Kopf herein. Ehe er etwas sagen konnte, drängte Edith Stern an ihm vorbei. Sie war sehr aufgeregt. »Es ist höchste Zeit«, sagte sie. »Wir müssen zur Pressekonferenz. Alle warten auf dich.«
    Albin, den sie gar nicht bemerkte, folgte den beiden in das nun brechend volle Klimt-Zimmer. Auf der Besucherliste hatte sich auch Ursi Plank eingetragen. Statt des i-Punkts hatte sie einen kunstvollen Kringel gemalt. Ihr

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