Rot Weiß Tot
»Arschloch« gewesen.
Am Freitagmittag bekam Albin eine E-Mail von Leo Zimmermann: »Ich bin auf etwas Merkwürdiges gestoßen. Sie können zu mir kommen. Ich bin den ganzen Nachmittag und Abend zu Hause.« Zimmermanns Adresse in Hietzing stand ebenfalls in der E-Mail.
»Was ist los?«, fragte Daniel, als er Albins angestrengtes Gesicht sah.
»Nichts. Ich muss los.«
»Das würde ich dir heute nicht raten.«
Albin hatte keine Ahnung, worauf Zimmermann gestoßen sein könnte. Vermutlich hatte es mit dem Fronleichnamsmörder zu tun. Eile war in jedem Fall geboten. Er stand auf.
»Vogel beobachtet dich«, warnte ihn Daniel. »An einem Freitag im größten Stress abzuhauen wäre in deiner derzeitigen Lage unverzeihlich.«
Albin warf noch einen Blick auf Zimmermanns E-Mail. Wenn er wegen dieser Morde hysterisch wurde und seinen Job verlor, hatte ihn seine Vergangenheit auch eingeholt, überlegte er. »Du hast wohl Recht«, sagte er zu Daniel. »Danke.« Als er endlich bei seinem Wagen ankam, war es längst dunkel. Albins Aufregung vom Mittag war verflogen. Er fand nun sogar, dass sein Besuch bei Gregoritschs ehemaligem Partner Zimmermann auch bis zum nächsten Tag warten konnte. Andererseits war dann Samstag, und da hatte er etwas Besseres vor.
Der 2 CV, ein gutmütiger Saurier aus der Vergangenheit des Automobils, graste mit hängenden Augen am Straßenrand. Der Wagen sollte entscheiden, beschloss Albin. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Der Citroën sprang auf der Stelle an. »Einverstanden«, sagte er zu dem braunen Lenkrad.
Vorsichtig zwängte er den Citroën durch die Stummelschranken und folgte der Mariahilfer Straße in Richtung Westbahnhof. Beim Schloss Schönbrunn bog er rechts ab und fuhr bis zur Kennedybrücke. Danach war es nicht mehr weit bis in Zimmermanns Gegend. Dort galt zwecks Erhaltung der Ruhe eine Geschwindigkeitsbeschränkung von dreißig Stundenkilometern und die Polizei patrouillierte doppelt so oft wie überall sonst.
Künstliche Bodenwellen stellten die Stoßdämpfer des 2 CV auf eine harte Probe. Albin glitt langsam dahin, mit dem Ellbogen im Fenster. Die Siedlung erinnerte ihn an einen überdimensionierten Friedhof. Die Villen, die luxuriösen Apartmenthäuser und die dazwischengestreuten kleineren Häuschen waren die Grabsteine, die kleinen Gärten die Blumenbeete.
Albin fand sich in den Einbahnstraßen nicht zurecht und ging das letzte Stück zu Fuß. An der von Zimmermann genannten Adresse versteckte sich ein schlichtes Haus hinter einer dunklen Ligusterhecke. Es bestand nur aus einem Erdgeschoss mit einem hohen Ziegeldach, das wie ein altmodischer Damenhut aussah. Die Fenster waren dunkel. Anscheinend war niemand da.
Albin war verwundert. Zimmermann hatte angekündigt, den ganzen Abend daheim zu sein. Vielleicht hörte nach seiner Zeitrechnung der Abend ja um neun Uhr auf und alles danach fiel schon unter Nacht. Oder er hatte sich doch anders entschieden und war ausgegangen. Wie auch immer, Albin machte es nichts aus. Er hatte ohnedies keine sonderliche Lust mehr gehabt, sich die Theorien des spröden Mannes anzuhören.
Er wollte zurück zum Wagen. Da fiel ihm Bergmanns Theorie über die Muster bei Morden ein: eine Leiche am Ende jeder Spur. Er kehrte um und ging zurück bis zu der Hecke. Vielleicht hatte Zimmermann tatsächlich eine Spur entdeckt. Wenn das so war, befand sich der Mann jetzt vielleicht in Lebensgefahr.
Albin drückte die blecherne Klinke der Gartentür. Aus dem Nebengebäude kam eine Frau in einem Nerz und ließ einen Schäferhund in den Fond eines silbergrauen Kombis springen.
Albin wartete, bis sie abfuhr. Als die roten Hecklichter des Wagens an der nächsten Kreuzung verschwanden, wollte er seinen Weg bis zur Haustür fortsetzen. In diesem Moment entdeckte er einen Schimmer hinter den Fenstern. Er erschrak, als hätte ihm jemand aus der Dunkelheit einen Stoß versetzt.
Er bändigte seinen Fluchtinstinkt und sah genauer hin. War es doch nur der matte Widerschein einer Straßenlaterne? Nein, das blasse Licht kam von innen und flackerte manchmal. Vielleicht war es eine Kerze und Zimmermann verbrachte eine romantische Nacht zu zweit.
Albin trat wieder auf die Straße hinaus und unter suchte das Gartentor nach einer Klingel. Er fand keine, doch da piepste sein altes Handy, das er zwar nicht mehr benutzt, aber eingeschaltet gelassen hatte. Eine Kurzmeldung war eingegangen. Ein weiterer Schreck fuhr ihm durch die Knochen. Denn er wusste, was das
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