Rousseau's Bekenntnisse
Antworten, so daß er sie auch nicht übel aufnahm. Auf seinen dritten Brief antwortete ich nicht mehr, da ich einsah, daß er eine Art Briefwechsel anknüpfen wollte; er ließ mich durch Ivernois ausholen. Frau Cramer schrieb an Du Peyrou, sie wäre überzeugt, daß die Schmähschrift nicht von Vernes herrührte. Dies alles erschütterte meine Ueberzeugung zwar keineswegs, allein da ich mich am Ende doch irren konnte und in diesem Falle Vernes eine unzweideutige Ehrenerklärung schuldig war, so ließ ich ihm durch Ivernois sagen, ich würde ihm eine befriedigende Genugthuung geben, wenn er im Stande wäre, mir den wahren Verfasser anzuzeigen oder wenigstens den Beweis zu liefern, daß er derselbe nicht wäre. Ich that mehr. Da ich sehr gut begriff, daß ich, war er unschuldig, nach allem nicht das Recht zu verlangen hatte, er sollte mir einen Beweis liefern, so entschloß ich mich, in einer ziemlich umfangreichen Denkschrift die Gründe meiner Ueberzeugung darzulegen und sie dem Urtheil eines Schiedsrichters zu unterwerfen, den Vernes nicht zurückweisen könnte. Man wird nicht errathen, wen ich zum Schiedsrichter erwählte: den Genfer Rath. Am Ende der Denkschrift erklärte ich, wenn der Rath nach Prüfung derselben und in Folge der für nothwendig erachteten Untersuchungen, die er mit Erfolg führen könnte, den Urteilsspruch fällte, daß Herr Vernes nicht der Verfasser der Schmähschrift wäre, so würde ich es von dem Augenblicke an in aller Aufrichtigkeit nicht mehr glauben und ihn aufsuchen, um mich ihm zu Füßen zu werfen und so lange um Verzeihung zu bitten, bis ich sie erlangt hätte. Ich wage es auszusprechen: nie hat sich mein glühender Eifer für Billigkeit, nie die Redlichkeit und der Edelsinn meiner Seele, nie mein Vertrauen auf jene Gerechtigkeitsliebe, die allen Herzen angeboren ist, in größerem Umfange und deutlicher gezeigt, als in dieser bescheidenen und rührenden Denkschrift, in der ich ohne Bedenken meine unversöhnlichsten Feinde zu Schiedsrichtern zwischen dem Verläumder und mir einsetzte. Ich las diese Schrift Du Peyrou vor; er gab mir den Rath, sie nicht einzureichen, und ich befolgte ihn. Er rieth mir die Beweise, welche Vernes versprochen hatte, abzuwarten. Ich wartete auf sie und warte noch immer. Er rieth mir, inzwischen zu schweigen; ich schwieg und werde mein Leben lang trotz des Tadels schweigen, daß ich gegen Vernes eine schwere, falsche und unerwiesene Beschuldigung erhoben hätte, werde schweigen, obgleich ich von seiner Verfasserschaft innerlich eben so überzeugt bin wie von meinem Dasein. Meine Denkschrift befindet sich in Du Peyrou's Händen. Wenn sie je an das Tageslicht kommt, so wird man meine Gründe finden und in ihnen, wie ich hoffe, die Seele Jean Jacques erkennen, die meine Zeitgenossen so wenig haben verstehen wollen.
Es ist Zeit, zu dem traurigen Ende meines Aufenthaltes in Motiers und zu meiner Abreise aus dem Val de Travers zu kommen, nachdem ich zwei und ein halbes Jahr daselbst geweilt und acht Monate die unwürdigste Behandlung mit unerschütterlicher Beharrlichkeit erduldet hatte. Es ist mir unmöglich, mich der Einzelheiten dieses unangenehmen Zeitabschnittes deutlich zu erinnern, aber man wird sie in dem Berichte finden, den Du Peyrou darüber veröffentlichte und von dem ich in der Folge noch reden muß.
Seit der Abreise der Frau von Verdelin wurde die Gährung heftiger, und trotz der wiederholten Erlasse des Königs, trotz der zahlreichen Befehle des Staatsrates, trotz der Bemühungen des Gerichtsverwalters und der Behörden des Ortes schien das Volk, welches mich in aller Einfalt als den Antichrist betrachtete und all sein Geschrei vergeblich sah, endlich zur That übergehen zu wollen. Auf den Wegen begannen bereits Kieselsteine hinter mir her zu rollen, allerdings noch immer aus zu großer Ferne geschleudert, um mich treffen zu können. In der Nacht nach dem Jahrmarkt zu Motiers, der im Anfange des Septembers stattfindet, wurde ich endlich in meiner Wohnung dergestalt angegriffen, daß das Leben seiner Bewohner gefährdet war.
Um Mitternacht vernahm ich einen großen Lärm auf der Galerie, welche um die Hinterseite des Hauses lief. Ein Hagel von Steinen wurde gegen das Fenster und die Thüre, welche auf diese Galerie hinausgingen, geschleudert und fiel mit solchem Gepolter dagegen, daß mein Hund, der auf der Galerie schlief und zu bellen angefangen hatte, vor Schrecken verstummte und sich in einen Winkel rettete, worauf er an den Brettern nagte
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