Rousseau's Bekenntnisse
Vereinbarungen einhalten konnte, die man für mich stets schmachvoll zu machen sorgte, während man mir zugleich mit aller Sorgfalt jede andre Hilfsquelle raubte, um mich zu zwingen, in meine Entehrung zu willigen. Wie hätten sie bei einer solchen Wahl zweifeln sollen, wofür ich mich entscheiden würde? Sie haben mein Herz stets nach dem ihrigen beurtheilt.
Ueber mein Auskommen beruhigt, war ich auch nach jeder andren Seite hin ohne Sorgen. Obgleich ich meinen Feinden das Feld in der Welt frei ließ, hinterließ ich in der edlen Begeisterung, die mir meine Schriften eingegeben hatten, wie in der beharrlichen Gleichmäßigkeit meiner Grundsätze ein Zeugnis für meine Seele, welches dem entsprach, das mein ganzer Wandel für meinen Charakter ablegte. Ich bedurfte keiner andern Vertheidigung wider meine Verleumder. Sie waren im Stande, unter meinem Namen einen andren Mann zu schildern; aber sie waren nur im Stande, diejenigen zu täuschen, welche getäuscht sein wollten. Ich konnte ihrer Kritik mein Leben von einem Ende zum andern unterbreiten; ich war sicher, daß man hinter meinen Fehlern und Schwächen, hinter meiner Unfähigkeit, ein Joch zu ertragen, doch immer einen gerechten, guten, von Bitterkeit und Haß freien Menschen finden würde, bereit, sein eigenes Unrecht anzuerkennen und noch bereitwilliger, das Anderer zu vergessen, kurz einen Menschen, der sein ganzes Glück in liebenswürdigen und gefälligen Leidenschaften sucht und bei allen Dingen die Aufrichtigkeit bis zur Unklugheit, ja bis zur unglaublichsten Selbstverläugnung treibt.
Gewissermaßen nahm ich also von meinem Jahrhundert und meinen Zeitgenossen Abschied und sagte der Welt Lebewohl, indem ich mich für meine übrigen Lebenstage auf diese Insel zurückzog, denn dies war mein Entschluß, und dort hoffte ich endlich meinen großen Plan, in voller Muße zu leben, ausführen zu können. Vergeblich hatte ich ihm bisher die geringe Thatkraft geweiht, die mir der Himmel verliehen hatte. Diese Insel sollte für mich das selige Eiland werden, wo man schläft,
und mehr noch thut, nichts thut in Zeit und Ewigkeit.
Dieses »mehr noch« war für mich alles, denn ich habe mich immer wenig nach dem Schlaf gesehnt; die Muße genügt mir, und wenn ich nur nichts zu thun brauche, träume ich lieber im Wachen als im Schlafe. Da das Alter romantischer Pläne vorüber war und mich der Dunst des Ruhmes mehr betäubt als erhoben hatte, so bestand meine letzte Hoffnung darin, ein zwangloses Leben in einer ewigen Muße zu führen. Das ist das Leben der Seligen in der andern Welt, und ich bildete mir daraus schon den Anfang meiner Seligkeit in dieser hier.
Die, welche mir so viele Widersprüche zum Vorwurf machen, werden nicht verabsäumen, hier einen neuen gegen mich zu erheben. Ich habe gesagt, daß mir die Unthätigkeit in den gesellschaftlichen Zusammenkünften dieselben unerträglich machte, und nun suche ich mit einem Male die Einsamkeit nur deshalb auf, um mich der Unthätigkeit zu überlassen. So bin ich nun aber; liegt ein Widerspruch darin, so trägt die Natur daran die Schuld und nicht ich; allein er liegt so wenig darin, daß ich gerade dadurch immer der gleiche bin. Der Müßiggang in den Gesellschaften ist, weil von der Notwendigkeit erzwungen, tödtend; der in der Einsamkeit ist, weil frei und der Ausfluß des eigenen Willens, entzückend. In einer Gesellschaft ist es mir grausam, nichts zu thun, weil es der Zwang erfordert. Ich muß auf meinem Stuhle wie angenagelt sitzen oder steif wie ein Pflock dastehen, ohne Hand und Fuß zu rühren, darf nicht laufen, nicht springen, nicht singen, nicht schreien, nicht gesticuliren, wenn ich Lust dazu habe, ja, darf nicht einmal träumen. Ich empfinde gleichzeitig alle Langeweile des Müßigseins und alle Qual des Zwanges; ich bin genöthigt, auf alle Albernheiten, die gesprochen, und auf alle Höflichkeiten, die erwiesen werden, zu merken, und unaufhörlich mein Gehirn anzustrengen, um meinerseits meinen schlechten Witz und meine Lüge vorbringen zu können. Und das nennt ihr Muße! Das ist eine Sträflingsarbeit Der Müßiggang, den ich liebe, ist nicht der eines Faulenzers, der mit gekreuzten Armen in völliger Unthätigkeit verharrt und nicht mehr denkt, als er handelt. Es ist zugleich der eines Kindes, das unaufhörlich in Bewegung ist, um doch nichts zu thun, wie der eines Schwätzers, der den Faden verliert, sobald seine Arme einen Augenblick ruhen. Ich beschäftige mich gern mit allerlei
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