Rousseau's Bekenntnisse
Kapitän zu mir; »seien Sie auf Ihrer Hut, der Feind rückt an.« Ich frage ihn, was er damit sagen wolle; er antwortet mit einem Scherzworte. Die Gondel legt an, und ich sehe eine blendend schöne junge Person in höchst koketter Kleidung sehr schnell aussteigen, die in drei Sprüngen mitten im Eßsalon steht. Sie saß an meiner Seite, ehe ich noch bemerkt hatte, daß man dort ein Couvert für sie hingestellt. Sie war eben so reizend wie lebhaft, eine Brünette von höchstens zwanzig Jahren. Sie sprach nur italienisch; ihr Ton allein hätte hingereicht, mir den Kopf zu verdrehen. Mitten im Essen, mitten im Plaudern sieht sie mich an, betrachtet mich einen Augenblick scharf und mit dem Rufe: »O heilige Jungfrau, mein theurer Bremond, wie lange ich dich nicht gesehen habe!« wirft sie sich mir dann in die Arme, drückt ihren Mund auf den meinen und preßt mich an sich, als wollte sie mich ersticken. Ihre großen schwarzen orientalischen Augen schleuderten förmlich Feuerstrahlen in mein Herz, und obgleich die Ueberraschung mich zuerst etwas aus der Fassung brachte, so loderte meine Sinnlichkeit doch bald auf und zwar bis zu dem Grade, daß trotz der Zuschauer mich die Schöne bald selbst im Zaume halten mußte, denn ich war berauscht, oder vielmehr rasend. Als sie mich auf dem Punkte sah, auf dem sie mich haben wollte, beobachtete sie in ihren Liebkosungen mehr Maß, aber nicht in ihrer Lebhaftigkeit, und als sie sich herbeiließ, uns die wahre oder nur ersonnene Ursache dieser unbändigen Leidenschaftlichkeit zu erklären, sagte sie, daß ich einem Herrn von Bremond, dem toskanischen Zolldirector, täuschend gliche; sie wäre ganz vernarrt in ihn gewesen und liebe ihn noch immer; sie hätte ihn verlassen, weil sie eine Närrin wäre; sie nähme mich an seiner Stelle und wollte mich lieben, weil es ihr so gefiele; deshalb müßte ich sie auch lieben, so lange es ihr anstände, und wenn sie sich von mir wieder abwenden würde, sollte ich mich in Geduld fassen, wie ihr theurer Bremond gethan hätte. Und wie gesagt, so gethan. Sie nahm Besitz von mir, als wäre ich ihr Leibeigener, gab mir ihre Handschuhe, ihren Fächer, ihren Hut zu verwahren, befahl mir, hierhin oder dorthin zu gehen, dieses oder jenes zu thun, und ich gehorchte. Sie forderte mich auf, ihre Gondel zurückzuschicken, da sie sich der meinigen bedienen wollte, und ich that es. Sie verlangte, ich sollte Carrio meinen Platz einräumen, weil sie mit ihm zu reden hätte, und ich war folgsam. Sie plauderten sehr lange und ganz leise zusammen, und ich ließ sie gewähren. Sie rief mir, und ich kam zurück. »Höre, Zanetto,« sagte sie zu mir, »ich will nicht auf französische Weise geliebt werden, schon das würde gleich kein gutes Ende nehmen, im ersten Augenblicke der Langeweile geh deiner Wege; aber bleibe nicht auf halbem Wege stehen, das rathe ich dir.« Nach dem Mahle gingen wir, uns die Glashütte in Murano anzusehen. Sie kaufte eine Menge kleine Nippsachen, die sie uns ohne Umstände bezahlen ließ, aber überall gab sie Trinkgelder, die sich höher beliefen, als alle unsere sonstigen Ausgaben. Aus der Gleichgiltigkeit, mit der sie ihr Geld fortwarf und uns das unsrige fortwerfen ließ, konnte man ersehen, daß es keinen Werth für sie hatte. Wenn sie sich bezahlen ließ, geschah es, wie ich glaube, mehr aus Eitelkeit als aus Habsucht: den Preis, den man für ihre Gunst gab, legte sie sich zum Ruhme aus.
Am Abend brachten wir sie nach Hause zurück. Während ich mit ihr plauderte, bemerkte ich zwei Pistolen auf ihrer Toilette. »Ei,« sagte ich, eine ergreifend, »das ist ja ein Schönpflasterkästchen neuer Art; dürfte man wissen, wozu es dient? Ich kenne doch andere Waffen an Ihnen, die besser Feuer geben, als diese hier?« Nach einigen Scherzen in demselben Tone sagte sie in einem natürlichen Stolze, der sie noch reizender machte, zu uns: »Wenn ich Leuten, die ich nicht liebe, meine Gunst erweise, so lasse ich sie die Langeweile, welche sie mir bereiten, bezahlen; nichts ist billiger; aber wenn ich mich auch ihren Zärtlichkeiten geduldig überlasse, so will ich doch ihre Gewalttätigkeiten nicht geduldig ertragen, und ich werde den Ersten, der gegen mich fehlt, nicht verfehlen.«
Beim Scheiden hatte ich ihre Empfangsstunde am nächsten Tage von ihr erfahren. Ich ließ sie nicht warten. Ich fand sie in vestito di confidenza, in einem mehr als galanten Nachtkleide, wie man es nur in den südlichen Ländern kennt, und mit dessen Beschreibung
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