Rousseau's Bekenntnisse
darauf ein. Es kam nun darauf an, ein ungefährliches zu finden. Er suchte so lange, bis er ein junges Mädchen von elf bis zwölf Jahren ausfindig machte, welches seine unwürdige Mutter verkaufen wollte. Wir gingen zusammen, sie zu besichtigen. Es schnitt mir in das Herz, als ich dieses Kind erblickte. Es war blond und sanft wie ein Lamm; man würde die Kleine nie für eine Italienerin gehalten haben. In Venedig lebt man mit sehr wenigem; wir gaben der Mutter etwas Geld, um damit den Unterhalt ihrer Tochter zu bestreiten. Diese hatte Stimme; damit sie einst in einem Talente eine Hilfsquelle fände, gaben wir ihr ein Spinett und einen Gesanglehrer. Dies alles kostete jedem von uns kaum zwei Zechinen monatlich und sparte uns mehr an andern Ausgaben; da wir indessen erst ihre vollkommene Entwickelung abwarten mußten, so war es immerhin eine kostspielige Aussaat, ehe an die Ernte gedacht werden konnte. Zufrieden jedoch damit, die Abende daselbst zuzubringen und mit diesem Kinde in aller Unschuld zu plaudern und zu spielen, unterhielten wir uns so vielleicht angenehmer, als wenn wir sie besessen hätten; so wahr ist es, daß das, was uns am meisten an die Frauen fesselt, weniger die Befriedigung der Sinnenlust ist als ein gewisser Reiz, den das Zusammenleben mit ihnen gewährt. Unmerklich gewann mein Herz die kleine Angoletta immer lieber, aber mit einer väterlichen Zuneigung, an der die Sinnlichkeit so wenig Antheil hatte, daß dieselbe in dem Maße, wie meine Liebe zunahm, immer mehr zurücktrat, und ich fühlte, daß ich vor einer Annäherung an dieses Mädchen bei seiner eingetretenen Reife wie vor einer abscheulichen Blutschande zurückgebebt wäre. Ich sah, wie die Gefühle des ehrlichen Carrio ihm unbewußt die gleiche Richtung nahmen. Wir erhielten uns, ohne uns dessen bewußt zu werden, nicht weniger süße, aber von den anfangs beabsichtigten sehr verschiedene Freuden, und ich bin gewiß, daß wir, wie schön diese arme Kleine auch hätte werden können, ihre Unschuld nicht verführt, sondern geschützt hätten. Die Katastrophe, die bald darauf in meinen Verhältnissen eintrat, ließ mir nicht die Zeit, an diesem guten Werke weiter Theil zu nehmen, und ich kann mir in dieser Angelegenheit nur über die Neigung meines Herzens Lob spenden. Kommen wir nun auf meine Reise zurück.
Als ich Herrn von Montaigu verließ, hatte ich zuerst die Absicht, mich nach Genf zurückzuziehen, bis mich ein besseres Schicksal, die Hindernisse beseitigend, mit meiner armen Mama wieder vereinigen könnte. Allein das Aufsehen, das unser Zerwürfnis erregt hatte, und die Dummheit des Gesandten, den Hof davon in Kenntnis zu setzen, bewog mich, persönlich dorthin zu gehen, um Rechenschaft über meine Handlungsweise abzulegen und Beschwerde über die eines Verrückten zu führen. Von Venedig aus theilte ich Herrn du Theil, dem nach Herrn Amelots Tode die auswärtigen Angelegenheiten interimistisch übertragen waren, meinen Entschluß mit. Ich reiste gleichzeitig mit meinem Briefe ab, nahm den Weg über Bergamo, Como und Domo und überstieg den Simplon. Zu Sion erwies mir Herr von Chaignon, der französische Geschäftsträger, viele Freundlichkeiten, und gleich zuvorkommend nahm mich Herr de la Cloture in Genf auf. Ich erneuerte daselbst die Bekanntschaft mit Herrn von Gauffecourt, von dem ich einiges Geld zu empfangen hatte. Ich war durch Nyon gereist, ohne meinen Vater zu besuchen. So außerordentlich schwer es mir auch fiel, hatte ich mich doch nicht entschließen können, mich nach meinem Mißgeschick meiner Stiefmutter zu zeigen, sicher, daß sie ihr Urtheil, ohne mich auch nur erst anhören zu wollen, fällen würde. Der Buchhändler Duvillard, ein alter Freund meines Vaters, warf mir dieses Unrecht lebhaft vor. Ich sagte ihm den Grund, und um es wieder gut zu machen, ohne ein Zusammentreffen mit meiner Stiefmutter befürchten zu brauchen, nahm ich einen Wagen, und wir fuhren zusammen nach dem Wirthshause in Nyon. Duvillard machte sich auf, meinen armen Vater zu holen, der auch schnell herbeigeeilt kam, mich zu umarmen. Wir aßen zusammen Abendbrot und nachdem wir einen Abend, der mein Herz mit Seligkeit erfüllte, zusammen zugebracht hatten, kehrte ich mit Duvillard, dem ich für die mir bei dieser Gelegenheit bewiesene Freundlichkeit stets Dankbarkeit bewahrt habe, früh am nächsten Morgen nach Genf zurück.
Mein kürzester Weg führte nicht über Lyon, aber ich wünschte es zu berühren, um eine äußerst gemeine Gaunerei
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