Rousseau's Bekenntnisse
verschieden waren, bildete die Musik doch für uns einen Verbindungspunkt, dessen ich mich gern bediente. Sie ging mit Freuden darauf ein; ich war damals ungefähr eben so weit wie sie, nach zwei oder drei Versuchen konnten wir ein Lied vom Blatte singen. Mitunter sagte ich zu ihr, wenn ich sie am Ofen sehr beschäftigt sah: »Mama, hier ist ein reizendes Duett, das mir ganz danach angethan zu sein scheint, deinen Tränklein ein Vorgefühl himmlischer Seligkeit zu geben.« – »Ei, meiner Treu,« erwiderte sie dann wohl, »wenn du Schuld bist, daß ich sie anbrennen lasse, so sollst du sie selbst austrinken.« Noch im Wortwechsel darüber zog ich sie an ihr Klavier; wir vergaßen dabei alles; der Wachholder- oder Absynthextract war verbrannt; sie beschmierte mir das Gesicht damit, und dies alles war köstlich.
Man sieht, daß ich trotz weniger freier Zeit vielerlei hatte, dem ich sie widmen mußte. Und doch kam noch ein neuer Zeitvertreib hinzu, der alle übrige aufwog.
Das Loch, in dem wir wohnten, war so dumpfig, daß wir mitunter das Bedürfnis hatten, im Freien frische Luft zu schöpfen. Anet drang darauf, daß Mama in einer Vorstadt einen Garten zur Pflanzenzucht miethete. Zu diesem Garten gehörte ein ziemlich hübsches Landhäuschen, das man mit den nöthigsten Möbeln versah; auch ein Bett wurde darin aufgestellt. Wir nahmen dort oft das Mittagbrot ein, und ich schlief bisweilen da. Unvermerkt verliebte ich mich in dieses abgeschiedene Plätzchen; ich brachte einige Bücher und viele Kupferstiche in diese Sommerwohnung und wandte einen Theil meiner Zeit dazu an, es zu schmücken und Mama, wenn sie hinkäme, um sich im Garten zu ergehen, irgend eine angenehme Ueberraschung zu bereiten. Ich trennte mich nur von Mama, um mich mit ihr zu beschäftigen, um an sie mit größerer Freude zu denken, wieder eine Laune, die ich weder entschuldige, noch erkläre, aber bekenne, weil es so war. Ich entsinne mich, daß mir einmal die Frau von Luxemberg lachend von einem Manne erzählte, der seine Geliebte verließ, um an sie schreiben zu können. Ich erwiderte ihr, ich hätte sehr gut zu diesem Manne gepaßt, und hätte hinzufügen können, daß ich es wiederholentlich eben so gemacht. Bei Mama habe ich indessen nie dieses Bedürfnis gefühlt, mich von ihr zu entfernen, um sie noch heißer zu lieben, denn unter vier Augen mit ihr war ich vollkommen eben so glücklich, als wäre ich allein gewesen, und dies kann ich keiner anderen Person, mochte es Mann oder Weib sein, nachrühmen, wie lieb ich sie auch immer hatte. Aber sie war oft so umdrängt, und noch dazu von Leuten, die mir nicht sehr angenehm waren, daß mich Aerger und Langeweile in mein Asyl trieben, wo ich sie hatte, wie ich sie wollte, ohne Furcht, daß uns Aufdringlinge bis hierher verfolgen könnten.
Während ich so, zwischen Arbeit, Vergnügen und Studien getheilt, in süßester Ruhe dahin lebte, war Europa nicht in so friedlicher Ruhe wie ich. Frankreich und der Kaiser hatten sich gegenseitig den Krieg erklärt; der König von Sardinien hatte sich an dem Kampfe betheiligt, und das französische Heer rückte in Piemont ein, um von dort in das Mailändische einzufallen. Eine Colonne kam durch Chambery, und unter andern das Regiment aus der Champagne, dessen Oberst, der Herzog von Tremouille, dem ich vorgestellt wurde, mir große Versprechungen machte und sicherlich nie wieder an mich gedacht hat. Unser Gärtchen lag mit der Vorstadt, durch welche die Truppen einzogen, genau in gleicher Höhe, so daß ich mich an dem Vergnügen, ihren Vorbeimarsch mit anzusehen, sättigen konnte, und ich begeisterte mich für den Ausgang dieses Krieges, als ob ich etwas damit zu schaffen gehabt hätte. Bis dahin war es mir noch nie in den Sinn gekommen, mich um die öffentlichen Angelegenheiten zu bekümmern, und zum ersten Male begann ich die Zeitungen zu lesen, aber mit solcher Parteinahme für Frankreich, daß mir bei den geringsten Vortheilen seines Heeres das Herz vor Freude klopfte und seine Unfälle mich betrübten, als hätten sie mich selbst betroffen. Wäre diese Thorheit nur vorübergehend gewesen, so würde ich kein Wort darüber verlieren, aber sie hat ohne irgend einen Grund in meinem Herzen so feste Wurzeln geschlafen, daß, als ich in der Folge in Paris den Tyrannenfeind und den stolzen Republikaner spielte, ich mir selbst zum Trotze eine geheime Vorliebe für das nämliche Volk empfand, welches mir knechtisch vorkam, und für diese Regierung, die ich mich zu
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