Rousseau's Bekenntnisse
dieses unselige Studium geworden sein. Da ich bei jeder Krankheit Symptome der meinigen erkannte, glaubte ich sie alle zu haben, und zog mir auch noch eine weit schmerzlichere zu, von der ich mich frei geglaubt hatte, nämlich die Lust, wieder gesund zu werden. Es ist schwer, sie von sich fern zu halten, wenn man sich an die Lectüre medicinischer Bücher macht. Unter emsigen Forschungen, Ueberlegungen und Vergleichungen setzte sich der Gedanke in mir fest, der Grund meines Leidens wäre ein Herzpolyp, und selbst Salomon schien von diesem Gedanken betroffen. Vernünftigerweise hätte diese Annahme dazu beitragen müssen, mich in meinem früheren Entschlusse zu bestärken. Das war nicht der Fall. Ich spannte alle Kräfte meines Geistes an, um ein Mittel zur Heilung eines Herzpolypens ausfindig zu machen, entschlossen, mich einer solchen Wunderkur zu unterziehen. Auf einer Reise, welche Anet nach Montpellier unternommen hatte, um den dortigen botanischen Garten und den praktischen Lehrer an demselben, Herrn Sauvages, kennen zu lernen, hatte man ihm erzählt, daß Herr Fizes einen solchen Polypen geheilt hätte. Mama erinnerte sich dessen und sprach mit mir davon. Mehr war nicht nöthig, um den Wunsch in mir zu erregen, Herrn Fizes um Rath zu fragen. Die Hoffnung auf Genesung erfüllte mich wieder mit Muth und Kraft, die Reise zu wagen. Das in Genf erhaltene Geld gewährte die Mittel dazu. Mama sucht es mir nicht etwa auszureden, sondern ermuntert mich dazu; und siehe da, ich mache mich auf den Weg nach Montpellier.
Ich hatte nicht nöthig so weit zu gehen, um den Arzt zu finden, dessen ich bedurfte. Da mich das Reiten zu sehr angriff, hatte ich in Grenoble einen Wagen genommen. Bei meinem Einzüge in Moirans fuhren fünf oder sechs andere Wagen in einer Reihe hinter dem meinigen her. Das war ja wahrhaftig wie jene Geschichte mit den Sänften! Die meisten dieser Wagen gehörten zum Geleit einer Neuvermählten, einer Frau Du Colombier. In ihrer Begleitung war eine andere Dame, Frau von Larnage, weniger jung und schön als Frau Du Colombier, aber nicht weniger liebenswürdig, welche von Romaes, wo jene blieb, noch bis zum Flecken Saint-Andiol, in der Nähe von Pont-Saint-Esprit, weiterreisen mußte. Bei der Schüchternheit, die man an mir kennt, wird man annehmen, daß meine Bekanntschaft mit diesen hochstehenden Damen und ihrer Umgebung nicht so bald geschlossen war; allein da wir den gleichen Weg hatten, in den gleichen Gasthäusern abstiegen, und ich, wenn ich nicht für einen Griesgram gelten wollte, gezwungen war, an der gleichen Tafel zu erscheinen, so mußte diese Bekanntschaft doch endlich gemacht werden. Sie wurde also gemacht und sogar früher, als ich gewünscht hätte, denn all dieser Lärm eignete sich nicht für einen Kranken und vollends nicht für einen Kranken in meiner Stimmung. Aber die Neugier macht diese Frauenzimmer so einnehmend, daß sie, um zur Bekanntschaft eines Mannes zu gelangen, damit anfangen, ihm den Kopf zu verdrehen. So ging es mir. Frau Du Colombier, die von ihren jungen Anbetern zu sehr umschwärmt war, hatte freilich keine Zeit, ihre Kunst an mir zu versuchen, was, da wir ja bald wieder von einander scheiden sollten, sich überdies nicht der Mühe lohnte; aber Frau von Larnage, die weniger umlagert wurde, mußte daran denken, sich für die Weiterreise zu versehen. So sucht Frau von Larnage denn mit mir anzubinden, und nun ist es vorbei mit dem armen Jean-Jacques, oder vielmehr mit dem Fieber, der Hypochondrie und dem Polypen. In ihrer Nähe weicht alle Krankheit von mir, nur ein eigenthümliches Herzklopfen will nicht schwinden, und sie macht auch gar keine Anstalten, mich davon zu heilen. Gespräche über meinen leidenden Gesundheitszustand waren die erste Veranlassung zu unserer Bekanntschaft. Man sah, daß ich krank war; man wußte, daß ich nach Montpellier ging, und meine Miene und mein Auftreten mußten wohl auf keinen Wüstling, schließen lassen, denn späterhin wurde es klar, daß man mich nicht im Verdacht gehabt hatte, ich ginge dorthin, um gegen gewisse ansteckende Krankheiten Heilung zu suchen. Obgleich ein krankhafter Zustand für einen Herrn bei Damen keine große Empfehlung ist, machte er mich doch den meinigen interessant. Des Morgens ließen sie sich nach mir erkundigen und mich einladen, die Chocolade bei ihnen zu trinken; sie fragten mich noch persönlich, wie ich die Nacht zugebracht hätte. Nach meiner löblichen Gewohnheit, zu sprechen ohne zu denken, erwiderte
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