Rousseau's Bekenntnisse
Schatten hoher Bäume, wo Mama, während ich dürres Holz zum Kaffeekochen las, sich mit Botanisiren zwischen den Sträuchern unterhielt, und an der Form der Blumen des Bouquets, welches ich ihr unterwegs gesammelt hatte, erklärte sie mir darauf tausenderlei Merkwürdigkeiten, die mich angenehm anregten und mir Lust zur Botanik einflößen sollten. Aber der Augenblick dazu war noch nicht gekommen; ich war noch von zu vielen anderen Studien in Anspruch genommen. Ein Gedanke, der sich plötzlich meiner bemächtigte, zog uns von den Blumen und Pflanzen ab. Die Gemüthsstimmung, in der ich mich befand, alles, was wir an diesem Tage gesagt und gethan, alle Gegenstände, die meine Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatten, riefen in mir die Erinnerung an jenen traumartigen Zustand zurück, der mich vor sieben oder acht Jahren in Annecy bei vollem Wachen befallen und dessen ich an seinem Orte Erwähnung gethan habe. Die Ähnlichkeit war so treffend, daß ich bei dem Gedanken daran bis zu Thränen gerührt wurde. In Wonne schwelgend umarmte ich diese theure Freundin. »Mama, Mama,« sagte ich leidenschaftlich zu ihr, »dieser Tag ist mir vor langer Zeit vorhergesagt worden, und Schöneres kann mir nie zu Theil werden. Dir habe ich es zu danken, daß mein Glück seinen höchsten Gipfel erreicht hat. Ach, daß es nie abnehmen, daß es dauern möchte, so lange ich mir die Freude daran bewahren kann! Dann wird es nur mit mir ein Ende nehmen.«
So flossen meine Lebenstage glücklich dahin, und um so glücklicher, als ich nichts sah, was sie stören konnte, so daß ich wirklich wähnte, sie würden erst mit meinem Ende aufhören. Der Grund lag nicht darin, daß die Quelle meiner Sorgen ganz versiegt gewesen wäre; allein ich sah sie einen anderen Lauf nehmen, den ich nach bestem Vermögen auf nützliche Gegenstände richtete, damit sie ihr Heilmittel selbst mit sich brächte. Mama liebte das Land aufrichtig, und diese Liebe verlor sie an meiner Seite nicht. Nach und nach gewann sie auch Lust zur Landwirthschaft. Sie bemühte sich Ertrag aus ihren Ländereien zu ziehen und besaß die dazu nöthigen Kenntnisse, die sie nun mit Vergnügen benutzte. Nicht zufrieden mit den zu dem Hause gehörenden Feldern pachtete sie noch bald einen Acker, bald eine Wiese. Kurz, indem sie ihren Unternehmungsgeist auf den Landbau lenkte, war sie auf dem besten Wege eine bedeutende Pächterin zu werden. Die immer größer werdende Ausdehnung der Wirthschaft war mir nicht ganz recht, und ich widersetzte mich nach Kräften, fest überzeugt, daß sie stets zu kurz kommen würde und bei ihrer Neigung zur Freigebigkeit und Verschwendung die Ausgaben die Einnahmen stets übersteigen müßten. Trotzdem tröstete ich mich durch die Erwägung, daß der Ertrag doch nicht völlig gleich Null sein könnte und zum Lebensunterhalte beitragen würde. Von allen Unternehmungen, auf welche sie verfallen konnte, schien diese mir die am wenigsten verderbliche, und ohne darin wie sie einen Erwerbszweig zu erblicken, betrachtete ich die Landwirtschaft als eine beständige Beschäftigung, die sie vor schlechten Geschäften und Betrügern beschützen mußte. Dieser Gedanke flößte mir den lebhaften Wunsch ein, die zur Überwachung ihrer Geschäfte nöthige Kraft und Gesundheit wieder zu erlangen, die es mir ermöglichten den Aufseher ihrer Tagelöhner oder ihren ersten Arbeiter abzugeben; und die mir dadurch auferlegte Beschäftigung, die mich meinen Büchern oft entzog und mich nicht ununterbrochen an meinen Zustand denken ließ, mußte natürlich günstig auf ihn einwirken.
1737 – 1741
Barillot, der im folgenden Winter von Italien zurückkehrte, brachte mir einige Bücher mit, unter andern den Bontempi und die Cartella per musica . des Pater Banchieri, die mir Luft machten, mich mit der Geschichte der Musik und mit theoretischen Forschungen über diese schöne Kunst zu beschäftigen. Barillot blieb einige Zeit bei uns, und da ich vor einigen Monaten mündig geworden, so kamen wir überein, daß ich im nächsten Frühjahr nach Genf gehen sollte, um das Vermögen meiner Mutter oder wenigstens, bis man sichere Nachricht über den Verbleib meines Bruders hätte, den auf mich fallenden Theil zu verlangen. Dies geschah, wie beschlossen war. Ich ging nach Genf, mein Vater kam seinerseits dahin. Er kam schon längst wieder dahin, ohne daß man ihn deshalb belangte, obgleich der gegen ihn gefaßte Beschluß nicht aufgehoben war; da man aber seinen Muth achtete und seine
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