Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
Vom Netzwerk:
schien. Und ich fühlte mich, als würde etwas, das ich vor langer Zeit vergessen hatte, sich seinen Platz in meinem Bewußtsein zurückerkämpfen, und dieser Kampf war alles andere als leicht. Ein weiterer Moment verstrich, und ich hatte das Gefühl, gar nicht mehr im zwanzigsten Jahrhundert zu sein. Die Atmosphäre schien jünger, weit primitiver …
    »Chris! He, Chris!« rief Phil. »Beweg’ deinen Arsch hierher und sei ein bißchen gesellig. Tu wenigstens so, als würdest du uns mögen.« Und damit war der Bann gebrochen.
    Ich schüttelte den Kopf und ging zurück zum Wagen, wo Phil und Rick ihre Differenzen augenscheinlich beigelegt hatten.
    »Wir haben beschlossen, daß der Name ›Pleasant Hills‹ ätzend ist«, sagte Phil. »Wir brauchen einen neuen.«
    »Ich bin für ›Tri-Lakes‹«, sagte Rick. »Wegen der drei Seen, versteht ihr?«
    Ich nickte und war noch ein wenig beschäftigt mit dem, was ich eine Minute zuvor gefühlt hatte – als der Ort mir seine ganz eigene Magie offenbart hatte. »Tri-Lakes«, sinnierte ich. »Griffiger Name.«
    Ein Ort, den wir unser eigen nennen konnten. Endlich hatten wir ihn gefunden. Doch vielleicht war es auch umgekehrt.

2.
     
    Mein Pfad kreuzte sich mit denen von Phil Markley und Rick Woodward in der siebten Klasse. Wir lebten in verschiedenen Stadtteilen und hatten deshalb verschiedene Grundschulen besucht, doch es gab nur eine einzige Junior High in Mount Vernon. Der reine Zufall brachte uns zusammen: wir saßen in der gleichen hinteren Ecke des Klassenzimmers.
    Ich erinnere mich an diesen ersten Tag, wie ich hineinging und mich zu ihnen setzte, weil sie von allen am wenigsten einschüchternd wirkten. Phil hatte Lockenhaar und war so groß, daß er selbst im Sitzen noch merkwürdig aussah. Rick war ein kleiner, dürrer Typ, der gewiß bald was auf den Deckel bekam, wenn er sich nicht behauptete.
    Phil, Rick und ich schlossen uns zusammen im Kampf gegen unsere Lehrerin, ein Nilpferd namens Mavis Veach. Sie war ausgestattet mit den Armen eines Ringers, einem Gesicht, das nur ansatzweise hübscher als das einer Bulldogge war, sowie einem nie enden wollenden Vorrat an Kleidern mit Blumenmuster. Seit über fünfunddreißig Jahren war Mavis Veach Witwe. Gerüchte besagten, daß ihr Mann im Zweiten Weltkrieg von einem Panzer zerquetscht worden war. Andere Gerüchte besagten, daß dieser Panzer Mavis hieß. Um es kurz zu sagen, sie jagte uns eine Höllenangst ein. Lernen durch Einschüchterung.
    Im Verlauf des siebten Schuljahres fingen wir an, sowohl in der Klasse als auch sonst gemeinsam herumzuhängen. Als ein Arbeitsplatzwechsel von Ricks Vater die Familie nach Virginia führen sollte, schmiedeten wir zu dritt Pläne, gemeinsam wegzulaufen. Florida stellten wir uns nett vor. Da war es nie kalt, und wir könnten am Strand neben einer Würstchenbude leben. Glücklicherweise hängte Ricks Vater seinen Ingenieursposten an den Nagel und wurde Lehrer am hiesigen Junior College. Ich glaube nicht, daß mir bewußt gewesen war, wie nah wir uns schon standen, bis ich diese unbändige Freude verspürte, nicht weglaufen zu müssen (ich bin mir nicht sicher, ob wir es wirklich versucht hätten) und meine Eltern und meinen kleinen Bruder Aaron zurückzulassen. Es war eine Erleichterung, daß wir weiterhin normale Jugendliche sein konnten. Zusammen.
    In der achten Klasse wurde das Verhältnis zwischen uns ein bißchen schwieriger. In jenem Jahr nahm Rick sich eine Geliebte: die Gitarre. Eine Geliebte, die ihren verführerischen Keil auch zwischen die besten Freunde treiben kann.
    Ricks Spleen hatte schon gegen Ende der siebten Klasse angefangen, und als man im September seinen Geburtstag feierte, war seinen Eltern bereits klar, daß es mehr war als nur eine vorübergehende Schrulle. Und so schenkten sie ihm eine Akustikgitarre von Yamaha, die für Anfänger am besten geeignet ist.
    Und wie ein Besessener ging Rick ans Werk. Er nahm Stunden bei einem Musiklehrer an dem College, wo sein Vater unterrichtete, und der Großteil seiner Freizeit war dem Üben gewidmet. Er beschäftigte sich mit Musiktheorie und sammelte bizarre, eklektische Musik von Gruppen, von denen wir nie gehört hatten.
    All dies trug wenig dazu bei, seine Freundschaft mit gewöhnlichen und untalentierten Possenreißern wie Phil und mir zu vertiefen. Es gab keine Gemeinsamkeiten mit dieser seltsamen, neuen Leidenschaft. Und wir haßten es, wenn er an den Fingerspitzen seiner linken Hand lutschte, die ihm weh taten,

Weitere Kostenlose Bücher