Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
brachten die herrlichen Tiere um. Dazu kamen die großen politischen Umwälzungen. Grenzen wurden geändert, wurden zum Teil quer durch die größten Tiergebiete gezogen. Neue Regierungen wurden gebildet, Länder machten sich selbständig. Würden die neuen Regierungen verstehen, welche Schätze sie zu hüten hatten? Würden sie etwas tun, um das wahnsinnige Ermorden der Tiere zu verhindern?
Diese Frage war es, die die Verfasserin beschäftigte. Sie führte nüchterne Zahlen an - Zahlen, die bewiesen, daß diese herrliche Tierwelt in erschreckend wenigen Jahren vernichtet sein würde, falls nicht etwas geschähe.
Und damit endete der Artikel.
Als Bernt am nächsten Tag kam, rief ich ihm entgegen:
„Bernt, verschaff mir Bücher über Afrika! Neue Bücher aus den letzten Jahren!“
Bernt sah mich entsetzt an und warf einen Blick auf die Temperaturkurve.
„Nein, Bernt, ich habe kein Fieber, aber ich muß wissen, wie es da unten aussieht... wie es den Tieren ergangen ist. Sieh mal, ich habe diesen alten Artikel gelesen...“
„Ach, den“, sagte Bernt. „Ja, den kenne ich. Ich kann dich trösten, Sonja, es ist etwas geschehen, sehr vieles und sehr Positives. Ja, ich werde dir Bücher verschaffen. Ich habe selber ein paar und werde Hans Jörgen in die Leihbibliothek schicken.“
Die Bücher häuften sich auf meinem Nachttisch. Ich war wie besessen. Ich las und las, über Forscher und Wissenschaftler, die da unten gearbeitet, mit den Regierungen verhandelt hatten - ich las über Deutsche und Engländer, die auch „besessen“ gewesen waren und alles daran gesetzt hatten, diese unersetzlichen Werte zu erhalten.
Und jetzt - ja, mein Herz machte Freudensprünge, als ich es las -jetzt hatten die Tiere sich wieder vermehrt, viele neue Naturparks waren entstanden - Naturschutzgebiete mit fremdartigen, melodischen Namen, Namen, die wie Musik in den Ohren klangen.
Kibo - Amboseli - Manyara - Tsavo - Serengeti.
Serengeti...
Was für ein schöner Name! Er klang so schön in den Ohren, er lag so gut auf der Zunge...
Ich mußte an etwas denken, was Papa einmal erzählt hatte: Es kommt vor, und es war ihm selber passiert, daß man sich in einen geografischen Namen verliebt. Aus unbegreiflichen Gründen setzt man sich in den Kopf, daß man grade dorthin muß. Er selber hatte sich schon als ganz junger Mann in den Namen Zillertal verliebt. Ein Freund von ihm hatte jahrelang eisern gespart, um einmal nach Celebes zu kommen - ausgerechnet nach Celebes!
Es war mir ein Trost, daß es also durchaus nichts Unnormales war, diese merkwürdige Sehnsucht nach Serengeti, nach all dem, was dieser wunderbare Name in sich barg.
Dann kam der Tag, an dem ich von meinem scheußlichen Gestell erlöst wurde. Mein Bein wurde geröntgt, und Papas Arztgesicht bekam einen strahlend zufriedenen Ausdruck: Alles vorbildlich verheilt! Nun sollte ich wieder laufen lernen!
Als ich nach Hause kam, wurde ich von meinem fürsorglichen ältesten Bruder hineingetragen. Aber schon am nächsten Tag fing ich vorsichtig an, meine Beine zu gebrauchen. Ich bekam Massage und
ermunternde Worte, und dann ging es recht gut.
Von Senta kamen viele und lange Briefe. Daß sie mich mit „Liebe Afrikanerin“ anredete, mußte ich halt über mich ergehen lassen.
„Weißt du was“, schrieb sie eines Tages, „eine Afrikareise ist gar nicht ein so tolles Unternehmen wie vor einigen Jahren! Ich habe mir einen Prospekt von einem großen Reiseunternehmen geholt, guck ihn dir an! Für eine Woche an der Küste und anschließend eine Woche Fotosafari in Serengeti braucht man nicht mehr als etwa zweitausend Mark zu zahlen!“
Ach, mein liebes Schwesterchen! Sie rechnete schon in D-Mark und dachte nicht an unsere armselige kleine norwegische Krone! Zweitausend Mark - das bedeutete schließlich beinahe viertausend Kronen!
Woher sollte ich viertausend Kronen nehmen?
Aber ich hob mir den Prospekt auf. Wenn einmal viertausend Kronen vom Himmel auf mich niederprasseln sollten, dann wußte ich jedenfalls, wohin ich schreiben sollte.
Denn ich war nach wie vor afrikabesessen.
Ich hatte laufen gelernt, ich fing an, mich im Haus zu betätigen, und es tat not. Beatemutti hatte zu viel zu tun - und eine Hausgehilfin? Das ist heutzutage eine sehr teure Geschichte. Papa ist kein armer Mann, aber es war uns allen klar, daß er sich keine allzu großen Sprünge leisten konnte. Er hat schließlich sechs Kinder, davon sind drei, nämlich die Jungens, ohne Zweifel begabt und haben
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