Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
fromme Leute, welche gegen die Smartneß eines richtigen Yankee freilich nicht aufzukommen vermochten.
Während des Essens verhielt sich der Farmer vollständig einsilbig, nach demselben brannte er sich eine Pfeife an, legte die Ellbogen auf den Tisch und sagte in erwartungsvollem Tone zu Hartley: »Nachher, Doktor, müssen wir wieder auf das Feld; jetzt aber haben wir ein wenig Zeit, mit Euch zu reden. Vielleicht kann ich Eure Kunst in Anspruch nehmen. In welchen Krankheiten seid Ihr denn bewandert?«
»Welche Frage!« antwortete der Kurpfuscher. »Ich bin Physician und Farrier und heile also die Krankheiten aller Menschen und aller Tiere.«
»Well, so seid Ihr der Mann, den ich brauche. Hoffentlich gehört Ihr nicht zu den Schwindlern, welche als Ärzte umherziehen und alles gewesen sind und alles versprechen, aber nicht studiert haben?«
»Sehe ich etwa aus, wie so ein Halunke?« warf sich Hartley in die Brust. »Hätte ich mein Doktor- und Magisterexamen bestanden, wenn ich nicht ein studierter Mann wäre? Hier sitzt mein Famulus. Fragt ihn, und er wird Euch sagen, daß Tausende und aber Tausende von Menschen, die Tiere gar nicht mitgerechnet, mir Gesundheit und Leben verdanken.«
»Ich glaube es, ich glaube es, Sir! Ihr kommt gerade zur richtigen Zeit. Ich habe eine Kuh im Stalle stehen. Was das heißen will, werdet Ihr wissen. Hier zu Lande kommt eine Kuh nur dann in den Stall, wenn sie schwer krank ist. Sie hat zwei Tage nichts gefressen und hängt den Kopf bis zur Erde herab. Ich gebe sie verloren.«
»Pshaw! Ich gebe einen Kranken erst dann verloren, wenn er gestorben ist! Der Knecht mag sie mir mal zeigen; dann sage ich Euch Bescheid.«
Er ließ sich nach dem Stalle führen, um die Kuh zu untersuchen. Als er zurückkam, zeigte er eine sehr ernste Miene und sagte: »Es war die höchste Zeit, denn die Kuh wäre bis heute abend gefallen. Sie hat Bilsenkraut gefressen. Glücklicherweise habe ich ein untrügliches Gegenmittel; morgen früh wird sie so gesund sein wie zuvor. Bringt mir einen Eimer Wasser, und du, Famulus, gib einmal das Aqua sylvestropolia heraus!«
Haller suchte, nachdem er den Kasten geöffnet hatte, das betreffend Fläschchen, aus welchem Hartley einige Tropfen in das Wasser goß, von dem der Kuh dreistündlich je eine halbe Gallone gegeben werden sollte. Dann kamen die menschlichen Patienten daran. Die Frau hatte einen beginnenden Kropf und erhielt Aqua sumatralia. Der Farmer litt an Rheumatismus und bekam Aqua sensationia. Die Tochter war kerngesund, doch wurde sie leicht veranlaßt, gegen einige Sommersprossen Aqua furonia zu nehmen. Der Knecht hinkte ein wenig, schon seit seinen Knabenjahren, ergriff aber die Gelegenheit, diesen Umstand durch Aqua ministerialia zu beseitigen. Zuletzt fragte Hartley auch die drei Fremden, ob er ihnen dienen könne. Der Cornel schüttelte den Kopf und antwortete: »Danke, Sir! Wir sind äußerst gesund. Und fühle ich mich je einmal unwohl, so helfe ich mir auf schwedische Weise.«
»Wieso?«
»Durch Heilgymnastik. Ich lasse mir nämlich auf der Ziehharmonika einen flotten Reel vorspielen und tanze so lange danach, bis ich in Schweiß komme. Dieses Mittel ist probat. Verstanden?«
Er nickte ihm dabei bedeutungsvoll zu. Der Heilkünstler schwieg betroffen und wandte sich von ihm ab, um den Wirt nach den nächstliegenden Farmen zu fragen. Laut des Bescheides, den er bekam, lag die nächste acht Meilen weit gegen Westen, dann eine fünfzehn Meilen nach Norden. Als der Magister erklärte, daß er unverzüglich nach der ersteren aufbrechen werde, fragte ihn der Farmer nach dem Honorare. Hartley verlangte fünf Dollar und bekam sie auch sehr gern ausgezahlt. Dann brach er mit seinem Famulus auf, welcher wieder den Kasten auf sich lud. Als sie sich so weit entfernt hatten, daß sie von der Farm aus nicht mehr gesehen werden konnten, sagte er: »Wir sind westlich gegangen, biegen aber nun nach Norden ein, denn es kann mir nicht einfallen, nach der ersten Farm zu gehen; wir suchen die zweite auf. Die Kuh war so hinfällig, daß sie wohl schon in einer Stunde stirbt. Wenn es da dem Farmer einfällt mir nachzureiten, kann es mir schlecht ergehen. Aber ein Mittagessen und fünf Dollar für zehn Tropfen Anilinwasser, ist daß nicht einladend? Ich hoffe, Ihr erkennt Euern Vorteil und tretet in meinen Dienst!«
»Die Hoffnung trügt Euch, Sir,« antwortete Haller. »Was Ihr mir bietet, ist viel, sehr viel Geld; dafür aber hätte ich noch viel mehr Lügen zu
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