Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Pampa hinein. Auch die Frauen reiten, und zwar nach Männerart, nicht die Beine auf einer Seite des Pferdes. Oftmals sieht man Mann und Weib zusammen auf einem Pferde sitzen, die Frau dann stets verkehrt auf dem Hinterteile des Pferdes, ohne allen Halt, ihren Rücken an denjenigen des Mannes lehnend. Und doch fällt sie selbst im schnellsten Galopp nicht herab.
Eine Untugend, und zwar eine große, besitzt der Gaucho. Er ist nämlich vollständig gefühllos gegen sein Pferd. Er schnallt den Sattel auf den wunden, eiternden Rücken seines Tieres und gräbt demselben mit den großen, scharfen Sporen tiefe Löcher in die Weichen, ohne daran zu denken, welche Schmerzen er dem armen Geschöpf bereitet. Darum fürchten die Pferde ihren Herrn und gebärden sich wie toll, wenn er sie zusammentreibt, um sich für den Ritt eins mit dem Lasso aus der Herde zu fangen. Bricht es unter ihm zusammen, so läßt er es, noch lebend, für die Geier liegen und holt sich ein andres. Bei den ungezählten Herden, die es im Lande gibt, ist ein Pferd so billig, daß man sich zum Tode eines solchen Tieres vollständig gleichgültig verhält. Daher die zahllosen Pferdegerippe, denen man allüberall begegnet. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß die weiten, endlosen Pampas mit Pferdeknochen geradezu gedüngt sind.
Das eigenartige Leben, welches der Gaucho führt, der vollständige Mangel aller Schulen und sonstigen Bildungsmittel und der fortwährende Umgang mit halbwilden Tieren, das sind die Ursachen davon, daß der Gaucho zarteren Regungen vollständig unzugänglich ist. Dazu kommen die traurigen politischen Zustände des Landes. Ein Geschichtsschreiber hat gesagt, daß in den La Plata-Staaten es kein Jahr ohne wenigstens eine kleine Empörung gebe, und es ist wahr, daß seit Menschengedenken dort eine Revolution der andern folgte. Das verroht den Menschen. Der Gaucho, dem ruhigen Leben abgeneigt und durch seinen Beruf abgehärtet, ist jederzeit bereit, sich einem Pronunciamiento – das ist der Ausdruck für Revolte – anzuschließen. Je öfters dies geschieht, desto tiefer drückt die Unbotmäßigkeit sich seinem Wesen ein, und die Folge davon ist, daß die Bewohner derjenigen Distrikte, welche sich öfters gegen die öffentliche Gewalt auflehnen, in Beziehung auf gute Eigenschaften weit hinter den andern zurückstehen. Daher die Verschiedenheit, mit welcher die Bewohner der Pampas beurteilt werden.
Die zweite Art der Niederlassung wird Hacienda genannt. Ein Haciendero betreibt Feld- und Viehwirtschaft zugleich, wird also selten große Herden besitzen. Die dritte Art wird Estancia genannt. Der Estanciero gibt sich nicht mit Ackerbau ab; er züchtet nur Vieh, um dasselbe in die Schlachthäuser zu liefern. Es gibt Estancieros, welche mehrere hunderttausend Stück besitzen.
Diese Tiere befinden sich sowohl im Sommer als auch im Winter stets im Freien. Obgleich sie von reitenden Gauchos beaufsichtigt werden, kommt es häufig vor, daß sie über die Grenze laufen und unter die Herden des nächsten, ja des zweiten und dritten Nachbars gelangen. Um dadurch verursachten Verlusten vorzubeugen, brennt jeder Besitzer seinen Tieren einen Stempel ein, welcher bei der Behörde für ihn registriert worden ist. So kennt jeder sein Eigentum und liefert von Zeit zu Zeit den zugelaufenen Bestand den rechtmäßigen Eigentümern zurück. Beim Verkaufe eines Pferdes oder Rindes wird das Zeichen dadurch ungültig gemacht, daß man es nochmals, und zwar verkehrt, auf das vorherige einbrennt, eine schmerzhafte Manipulation, welcher sich die Tiere natürlich mit aller Anstrengung widersetzen.
Eine solche Zeichnung der noch nicht mit einem Stempel versehenen jungen Rinder war eben im Gange, als die Reiter die Estancia erreichten. Eine Anzahl berittener Gauchos war beschäftigt, die Tiere draußen auf dem Campo zusammen und dann in den dazu bestimmten Corral zu treiben. Unter Corral ist hier ein freier Platz zu verstehen, welcher von hohen, stachelichten Kaktushecken umgeben ist.
Die Rinder wissen ganz genau, daß stets etwas Ungewöhnliches bevorsteht, wenn man sie nach dem Corral bringen will, und weigern sich infolgedessen, ihren Hirten zu gehorchen. So auch hier. Sie versuchten, auszubrechen, stets aber waren die kühnen Reiter da, sie mit hochgeschwungenem Lasso oder kreisender Bola daran zu hindern.
Die Bola ist ein Wurfgeschoß, welches aus drei Blei- oder Eisenkugeln besteht. Jede dieser Kugeln hängt an einem starken, unzerreißbaren Riemen;
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