Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Stande, in welchem man nicht nach Verführern suchen darf. Führer bin ich ja, aber doch nicht Verführer, denn ich will diese Leute zum Glücke führen. Ich bin überzeugt, daß der Onkel Wolfs sie sehr gut aufnehmen wird. Und Geld, sich Land zu kaufen oder ein Geschäft anzufangen, ist auch vorhanden.«
»Ich denke, diese drei sind arm!«
»Ja, Schmidts, Strauchs und Uhlmanns hatten nichts; aber Ebersbachs sind, wie Sie gehört haben, wohlhabend und Frau Rosalie hat ihnen das nötige Geld vorgeschossen. Sie ersehen daraus, was für eine brave Frau sie ist. Sie konnte recht wohl im Vaterlande bleiben und hat sich nur aus Teilnahme für diese drei, aus Freundschaft für mich und infolge ihres Dranges nach der Fremde entschlossen, mitzugehen. Besonders entzückt war sie darüber, daß in Amerika die Damen so außerordentlich geachtet und berücksichtigt werden.«
»Ach so,« lächelte Sam vergnügt; »und Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin ist eben auch eine Dame! Das erklärt mir freilich das vorher Unerklärliche. Sie haben also alle die Absicht, sich bei dem Oheime Wolfs anzusiedeln?«
»Sie wollen ihn fragen. Gibt er es nicht zu, so ziehen sie weiter.«
»Und Sie? Was beginnen denn Sie?«
»Ich? Ich suche natürlich Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou auf. Natürlich werde ich auch den Hobble finden.«
»Sie scheinen, wie bereits gesagt, sich das als außerordentlich leicht vorzustellen, und doch können Sie jahrelang im Westen herumreiten, ohne auch nur auf einen von diesen Männern zu treffen.«
»So muß man fragen, sich erkundigen!«
»Denken Sie, es sei hier geradeso wie in einem deutschen Dorfe oder Städtchen, in welchem man sofort berichtet wird, wenn man nach dem Herrn Müller, Meier oder Schulze fragt? Die Gesuchten können leicht zehnmal ganz nahe an Ihnen vorüberreiten oder in sehr geringer Entfernung von Ihnen lagern, ohne daß Sie es ahnen.«
»Oho! Ich ahne es; darauf können Sie sich verlassen. Einem Tonkünstler ist nichts zu schwer. Wer von den Musen ausgezeichnet und bevorzugt wird, bei dem sammeln alle Töne sich zu Accorden. So werden auch die gesuchten Männer sich um mich zusammenfinden, wie wohlgeschulte Musici um ihren Dirigenten.«
»Will es Ihnen wünschen. Was ich dabei thun kann, da wir dieselbe Route haben, das wird natürlich geschehen. Jetzt aber sollten Sie sich in einen der Wagen legen, um zu schlafen.«
»Schlafen? Warum?«
»Weil wir morgen abend wahrscheinlich nicht schlafen können; wir müssen wachen, da die Finders uns überfallen wollen.«
»Sie sind davon also wirklich überzeugt, Herr Hawkens?«
»Ja. Irgend jemand, der am frühen Morgen nach der Schenke kommt oder an derselben vorübergeht, wird ihr Rufen hören und sie befreien. Dann setzen sie sich auf die Pferde, um uns nachzureiten.«
»Nach Tucson?«
»Fällt ihnen nicht ein. In dieser Stadt lassen sie sich ganz gewiß nicht sehen. Sie werden Tucson umreiten und dann unsern Wagengeleisen folgen, bis sie bemerken, daß wir Lager gemacht haben. Um von uns nicht bemerkt zu werden, halten sie an und warten, bis es Nacht geworden ist. Um ja nichts zu verabsäumen, habe ich ihnen die Munition genommen; doch sind sie gewiß so klug, sich in San Xavier del Bac mit neuer zu versorgen, was ihnen freilich nicht leicht werden wird, da ich nicht glaube, daß dort viel zu haben ist. Also, folgen Sie meinem Rate und steigen Sie in einen Wagen!«
»Danke! Ich schlafe nicht.«
»Warum aber nicht?«
»Weil während eines solchen nächtlichen Rittes die schönsten musikalischen Gedanken kommen. Ich mache da Studien für meine Oper. Vielleicht lasse ich gleich im ersten Akte einen solchen Ochsenwagenzug über die Bühne gehen, was beim Scheine einer kleinen Mondessichel einen ganz besonderen Eindruck machen muß, zumal die Instrumente dabei das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und das Knarren der Räder nachzuahmen haben.«
»Möche dabei sein!« sagte Sam im ernsthaftesten Tone. »Muß ein außerordentlicher Kunstgenuß sein! Also machen Sie Ihre Studien und bleiben Sie meinetwegen wach. Aber werfen Sie sich denn immerwährend so bald nach vorn und bald nach hinten? Das muß Sie doch ungeheuer ermüden!«
»Allerdings; aber es ist leider nicht zu umgehen.«
»Nicht zu umgehen? Unbegreiflich! Wieso denn? Es strengt natürlich auch das Pferd an und macht es kaput.«
»Kann nicht anders, bester Herr Sam. Ich komponiere immerwährend und immerfort, selbst
Weitere Kostenlose Bücher