Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Chinesen blickten erst mit Neugierde und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen von dem gemachten Gange zurückkehrte und die letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen. Endlich konnte es der eine nicht länger aushalten; er fragte leise:
»Hast du alles gehört?«
»Ja,« antwortete der andre.
»Und gesehen?«
»Und gesehen!«
»Auch die Gewehre?«
»Auch!«
»Wie kostbar sie sind!«
»Viele, viele tausend Dollars!«
»Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten; wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsre Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!«
Es trat eine Pause ein; sie überlegten. Nach einer Weile that der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, indem er listig mit den schiefen Augen blinzelte:
»Ahnst du, wo die Gewehre liegen?«
»Ich weiß es,« lautete die Antwort.
»Nun wo?«
»Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben, und niemand wüßte, wer sie geholt hat.«
»Und später könnten wir sie in Frisco verkaufen. Wir bekämen viel, ungeheuer viel Geld dafür, dann wären wir reiche, sehr reiche Herren und könnten nach dem Reiche der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.«
»Ja, das könnten wir; wir könnten es wirklich, wenn wir nur wollten!«
Nach einer abermaligen Pause, während welcher sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt:
»Das Haus des Engineers ist steinern, und niemand kann durch die Fenster!«
»Und die Thür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloß!«
»Aber das Dach! Weißt du nicht, daß es aus Shingles gemacht ist?«
»Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Oeffnung machen und einsteigen.«
»Leitern gibt es genug!«
»Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.«
»Man müßte sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen Bastmatten mehr als genug umher.«
Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen, und die Art und Weise, in welcher sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andre.
Eben als dieser letztere verschwunden war, kam ein neuer Ankömmling. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemde, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, welches im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang wie bei einem Weibe auf den Rücken hinab, und am Halse trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.
Er blieb unter dem Eingange stehen, um sein Auge, aus der Finsternis kommend, an das Licht zu gewöhnen, warf hernach einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.
Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung, und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleineren Raume, in welchem die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andre Wirkung, als daß man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.
Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, daß es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als ob sie füreinander gar nicht vorhanden wären; aber hie und da flog doch unter den tief gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Da stand der Scout von seinem Tische auf und schritt dem Eingange zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er thut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.
Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffälig vorkam: Winnetou und Old
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